Datei:2013-01 Flugschrift (14) Milch billiger als Wasser.pdf

Aus Archiv der Aktion 3.Welt Saar
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Originaldatei(1.771 × 2.539 Pixel, Dateigröße: 1,74 MB, MIME-Typ: application/pdf, 4 Seiten)

FLUGSCHRIFT

Milch billiger als Wasser. Faire Preise für Bauern.Welche Landwirtschaft wollen wir?

Die Situation mutet grotesk an:Obwohl genügend Nahrungsmittelweltweit produziert werden, hun-gern Menschen. Das Paradies, in demfür alle Menschen auf der WeltMilch und Honig fließen, wäremach bar. Gleichzeitig ist Milch billiger als Wasser. Deshalb protes-tieren Milchbauern und Milch bäue-rinnen in Deutschland, Frankreich,Italien, Belgien und anderen euro-päischen Ländern für faire Milch-preise. In Brüssel spritzen sie mitMilch auf das EU-Parlament, Par-teipolitiker und Polizisten. Oder sieschütten Milch auf Straßen undÄcker. Spinnen die? Nein, sie spin-nen nicht. Sie handeln aus Ver-zweiflung über einen katastrophalniedrigen Milchpreis - zur Zeit um30 ct/l - der schon seit Jahrenunter den Produktionskosten vonmindestens 40 ct/l liegt. Damit ein-her geht das Schließen von Milch-viehbetrieben bei gleichzeitigerExpansion der verbleibenden. Dahinter steht eine Milchpolitik derEU und vor allem der BRD, die einegezielte Überproduktion von rund10% fördert, um den Milchpreisniedrig zu halten. Die Kosten tragenBauern und Bäuerinnen hier und inder sogenannten 3.Welt: Dorthinwird ein Teil der überschüssigenMilch als Milchpulver billig ver-kauft. Dies zwingt zum Beispiel imwestafrikanischen Senegal Bauernzur Aufgabe ihrer Höfe. Aus der3.Welt – z.B. Südamerika – kommtbilliges Soja als Futtermittel fürdeutsche Milchkühe. Gleichzeitigwerden in Paraguay Bauern undBäuerinnen gewaltsam von ihremLand vertrieben, um kilometerlangeSojafelder anzulegen. Die Landwirt-schaft dort wird regelrecht auf So-jaanbau zugerichtet, inklusive einesmassiven Einsatzes des Rundumver-nichters Roundup mit dem WirkstoffGlyphosat. Heute ist das kleine Pa-raguay der viertgrößte Sojaexport-eur weltweit. Salopp formuliert könnte mansagen: „Deutsche Kühe weiden inParaguay und scheißen auf die Bau-ern im Senegal.“ Überall sind Bau-ern die Gelackmeierten, weil sie alsreine Rohstofflieferanten außerhalbder Wertschöpfungskette stehen.Dies erinnert an die Situation, inder viele Länder der 3.Welt stehen,die nur Rohstoffe liefern und diesenur selten weiterverarbeiten. Kurios ist auch, wie der Milchpreisentsteht, also das, was Bauern proLiter Milch erhalten. Man stelle sichvor, jemand geht in einen Ladenoder kauft via Internet ein iPhoneund teilt als Kunde dem Verkäufervier Wochen später mit, was er fürdas schicke iPhone bezahlt. Gehtnicht? Doch, geht. So erfahrenMilchbauern in Deutschland, wassie für die Milch bekommen. DieMolkerei nimmt beim Milchbauernheute die Milch ab und teilt ihmvier – zwölf Wochen später mit,was sie ihm dafür bezahlt, nachdemsie ihre Kosten abgezogen hat.Rückwärtskalkulation nennt mandiese Masche. Etwas drastischerformuliert: Den Letzten beißen dieHunde. Diese Kalkulation wird vor-wiegend von Genossenschafts-Mol-kereien betrieben, die über 2/3 derdeutschen Milch verarbeiten. Pri-vate Molkereien orientieren sich anderen niedrigem Milchpreis. Die ei-gentlichen Preisverhandlungen fin-den zwischen Handel und Molkrereistatt – ohne Einflussmöglichkeit derBauern. Im Lebensmittelregal istMilch nicht selten billiger als Wasser. Dabei muss man sich über eins imKlaren sein: Landwirtschaft wird esimmer geben. Nur welche: Eine bäu-erliche oder in dustrielle? Und weilErnährung nun mal jeden Menschenbetrifft, geht es uns alle an, welcheLandwirtschaft „wir“ in Europa, inDeutschland und weltweit haben.Dies ist die Grundlage unseres Le-bens. Davon hängt unser aller Über- leben ab. Der aktuelle Weltagrar- be richt (www.weltagrarbericht.de)führt aus, dass eine bäuerlicheLandwirtschaft in der Lage ist, ge-nügend Nahrungsmittel zu produ-zieren für alle Menschen auf derErde. Und dies auch noch ohneGentechnik.

Zur aktuellen Milchpolitik gibt es Alternativen: 1. Das Konzept der „flexiblen Men-gensteuerung“ sieht vor, dassMilchbauern sich zusammenschlie-ßen und bei einem Überangebot dieMilchproduktion drosseln, um wei-ter einen kostendeckenden Preis zuerhalten. In Kanada zum Beispielsitzen in einer Monitoringstelle Ver-treter von Bauern, Handel, Milchin-dustrie, Staat und Verbrauchernzusammen und entscheiden übereine geringfügige Reduzierung derProduktion, um den Preis stabil zuhalten2. Die Bündelung von Milch in„Milch-Erzeuger-Gemeinschaften“(MEG) entspricht dem Zusammen-schluss von Arbeitern und Ange-stellten in Gewerkschaften zumAushandeln von Tarifverträgen. 3. Von Milchbauern wurde die „FaireMilch“ entwickelt: Bauern erhaltenkostendeckende 40 Cent pro Liter,die Milch wird regional ohne Gen-technik und ohne Sojafutter aus der3.Welt produziert. Stattdessen setztman verstärkt auf einheimische Ei-weißpflanzen.

Marktstrukturgesetz soll Bauern helfen Welch ein Wortungetüm: Markt-strukturgesetz. Es stammt aus demJahre 1969 und wurde im Novem-ber ersetzt durch das Agrar-Markt-strukturgesetz. Dieses erlaubt dieGründung von Erzeugergemein-schaften in der Landwirtschaft, ummonopolartigen Strukturen auf derAbnehmerseite (z.B. Molkereien)entgegen zu wirken. Dahintersteckt der Gedanke, dass ein freierMarkt bei allzu viel Freiheit zu allzuviel Unfreiheit durch Monopoleführt und immer mehr Betriebendie Freiheit nimmt zu entscheiden,ob sie weitermachen oder nicht.Dieses Gesetz kann also (Milch-)Bauern praxisnah weiterhelfen, in-dem es die Bündelung von Milch inMilch-Erzeuger-Gemeinschaften(MEG) erlaubt. Und es verbietet diegleichzeitige Mitgliedschaft in ei-ner MEG und in einer Genossen-schaftsmolkerei ausdrücklich nicht.Auch wenn dies wegen der ausste-henden Durchführungsverordnungnoch nicht endgültig ist, so ist esden Molkereien und manchenAgrarlobbyisten ein Dorn im Auge.Der Versuch, die Doppelmitglied-schaft im Rahmen der anstehendenGesetzesnovelle zu kippen, schei-terte aber Ende 2012 am Wider-stand der Milchbauern, die die Län-der-Agrarminister zu dieserEntscheidung „motivierten“. Gleichzeitig ist auf EU-Ebene, imRahmen der Aushandlung der Ge-meinsamen Agrarpolitik der EU(GAP), anvisiert, dass europaweitBauern nur 3,5% der Milchmengebündeln dürfen. National könntediese Quote bis zu 33% betragen.Wenn man bedenkt, dass alleineder holländische Molkerei-KonzernFriesland-Campina jetzt schonknapp 9% und der dänische Molke-reiriese Arla Food knapp 5% derEU-weit produzierten Milch bün-delt, wird deutlich, warum Milch-bauern protestieren. Dies wäre, alsob in der EU nur 3,5% der abhängigBeschäftigten Mitglied einer Ge-werkschaft sein dürften. Ein Auf-schrei wäre garantiert.

Soja – Grünes Gold oder grüner Tod Soja kommt meist aus Drittwelt- undSchwellenländern wie Argentinien, Bra-silien, Paraguay. Für den Sojaanbauwerden dort Bauern und Bäuerinnenauch mit militärischer Gewalt enteig-net und ihre Existenz wird vernichtet.Wenn der paraguayische Bauer Gero-nimo Arevalos auf seinem Stück Landsteht, sieht er bis zum Horizont nurSojaplantagen. Seine beeindruckendeGeschichte erzählt der Film „RaisingResistance“ (2011). In den letzten Jah-ren haben immer öfter Bauern undBäuerinnen aus diesen Ländern überihr Schicksal in Deutschland berichtet.Apropos Schicksal: Sie stehen auf,wehren sich und gehen den mühevol-len Weg, sich zusammen zu schließenund für ihre Rechte einzutreten. Wasist ihr Recht? Leben. Genau. So ein-fach ist dies. Die Bäuerin Esther Leiva,Generalsekretärin der OLT (Organisa-ción Lucha por la Terra) in Paraguay,macht noch was deutlich: Der Wider-stand und das Eintreten für ein men-schenwürdiges Leben von Bauern dortwie hier ist immer öfter weiblich. Zur Milchproduktion wird unter ande-rem eiweißhaltiges Soja aus der so ge-nannten 3.Welt (Paraguay, Argenti-nien, Brasilien) eingesetzt: 4,5 Mio. twerden pro Jahr nach Deutschlandund 35 Mio. t nach Europa importiert.Letztlich nehmen Deutschland und dieEU alleine für den Sojaanbau 20 Mio.ha landwirtschaftliche Fläche im Aus-land in Beschlag, ein Zehntel derAgrarfläche der EU. Deutschland ver-braucht 2,8 Mio. ha Fläche außerhalbEuropas für den Futtermittelanbau zurMilch- und Fleischproduktion.Der gewaltige Strom von Soja in dieEU ist dabei nur ein Beispiel für dieStoffströme von Nahrungsmitteln ausder 3. in die 1.Welt. In der Konsequenzmüssen Länder im Süden Nahrungs-mittel importieren, obwohl sie eigent-lich genügend produzieren. VerrückteWelt. Nach Berechnungen des JuliusKühn-Instituts (Bundesforschungsin-stitut für Kulturpflanzen, StandortGroß Lüsewitz) könnten einheimischeEiweiß-Futterplanzen bei gleich blei-bendem Fleischkonsum rund 60% Sojaersetzen. Gemeint sind damit so ge-nannte Leguminosen wie Futtererbsenund Ackerbohnen. Zwischen 1998 und2011 ist der Anbau von einheimischenLeguminosen von 225.000 ha aufknapp 100.000 ha in Deutschland ge-sunken; dies entspricht 0,8% derAckerfläche. Dies und die jahrzehnte-lange Orientierung auf Soja habengravierende Auswirkungen auf dieSaatgutzüchtung und -forschung: Sielohnt sich nicht und wird vernachläs-sigt. Folglich stehen Bauern, die heuteumstellen wollen, vor dem großenHindernis, nur mit viel Zeitaufwanddie passende Sorte für ihr regionalesKlima zu finden oder sie nicht zu fin-den, weil es sie (noch) nicht gibt. Wo-bei natürlich die mehr als berechtigteFrage zu stellen ist, ob das in der Her-stellung extrem teure sowie energie-,wasser- und kalorienintensiv produ-zierte Luxusprodukt Fleisch jeden Tagauf den Tisch muss und dies auchnoch mehrfach. Manchmal ist wenigermehr. Auch heute schon steigenMilchbauern aus der Verwendung vonSoja aus und stellen um auf einheimi-sche Eiweißpflanzen wie Ackerbohnen,Futtererbsen und Luzerne.


Zahlen und Daten zur Milch n Deutschland gibt es rund 85.000Milchviehbetriebe; 25.000 davonsind im BDM organisiert. In der EUexistieren Ende 2012 knapp740.000 Milchviehbetriebte. Alleinein den letzten dreieinhalb Jahrenmussten 157.000 aufgeben, davonin Deutschland 12.000. Pro Jahrwerden in Deutschland 30 Mrd. kgMilch produziert, in Europa 138 –140 Mrd. kg. Deutschland expor-tierte 2011 14,9 Mrd kg Milch in-nerhalb von Europa, knapp 50%.Der Milchimport aus der EU nachDeutschland ist etwa genausohoch. Das Gros der Milch wird alsonational bzw. auf dem jeweiligenKontinent gehandelt. Lediglich 6%der weltweit produzierten Milch-menge wird interkontinental ge-handelt. Rund 70% der Milch wird in Genos-senschafts- und 30% in privatenMolkereien verarbeitet. Allerdingshaben Milchbauern auch in Genos-senschaftsmolkereien, von denensich immer mehr auf den Welt-markt orientieren, wenig bis keinenEinfluss auf die aktuelle Geschäfts-politik. Nicht ganz 100% der täg-lich produzierten Milchmenge wirdin Deutschland vertraglich gebun-den an Molkereien oder Milchhänd-ler geliefert. Rund 3-5% der Milch-menge ist vertraglich nicht an eineMolkerei gebunden und wird aufdem so genannten Spotmarkt durchMilchhändler und Molkereien ge-handelt. Milchbauern unterliegen inGenossenschaftsmolkereien meistfür mehrere Jahre einer Anliefe-rungspflicht und können nicht in-nerhalb eines Jahres zu einem at-traktiveren Abnehmer wechseln.Meist beträgt die Kündigungsfrist 2Jahre und beginnt mit dem 1. Ja-nuar des nächsten Kalenderjahres.Faktisch beträgt sie also bis zu dreiJahren je nach Kündigungszeit-punkt. Die Verträge mit der Molke-rei, gleich ob Genossenschaft oderprivat, handelt der Milchbauermeist alleine aus und nicht zusam-men mit anderen Bauern. Als Mit-glied einer Genossenschaftsmolke-rei liefert er und verhandelt so gutwie nicht über den Preis. Diese Fokussierung auf Molkereiensowie das Aushandeln der Verträgeals Einzelner bröckelt langsam. Wassich einfach anhört, tangiert in derPraxis jahrzehntelang eingefahreneVerhaltensweisen: Jeder Bauer istsich selbst der Nächste und „dieMolkerei wird es schon richten.“Nach Angaben des Zusammen-schlusses von Milch-Erzeugerge-meinschaften (MEG Milch Board)haben sich in Deutschland aktuellrund 18.000 Milchbauern und –bäuerinnen bereit erklärt, ihreMilch zu bündeln und den Milch-preis selbst zu verhandeln. Diespraktizieren aktuell immer mehr Er-zeugergemeinschaften wie bei-spielsweise die MEG Rheinland-Pfalz, die MEG Nordpool, dieBayern-MEG, die MEG Osnabrückoder die NRW MEG. Weitere MEG’ssind in Gründung.

Spekulation - Das Böse ist immer und überall In der Debatte über Lebensmittelund Agrarfragen hat sich die An-nahme eingebürgert, dass Spekula-tion mit Nahrungsmitteln an derBörse das Grundübel schlechthinsei und abgeschafft gehöre. Diesmag den Reflex befriedigen, in Se-kundenschnelle über Gut und Bösezu entscheiden. So einfach ist esaber leider nicht. Eine Börse ist zu-nächst mal ein Ort, an dem Anbie-ter und Händler sich „begegnen“. Der Anbieter, z.B. Bauer, lässt sichdurch einen Zwischenhändler undeinen Broker vertreten. Vor derErnte bietet er die erwartete Mengean und handelt einen Preis aus.Beide Seiten haben damit die Si-cherheit, einen bestimmten Preis(Bauer) und eine bestimmte Menge(Händler) zu erhalten. Der Bauerträgt ein höheres Risiko, weil ereine Anlieferungspflicht hat, auchbei schlechter Ernte. So weit, sogut. Das Problem entsteht, weilheute an den Börsen für Agrarroh-stoffe das bis zu 50-fache von demgehandelt wird, was real vorhandenist. Alle Beteiligten wissen dies undversuchen in immer kürzeren Zeit-abständen, die „gekaufte“ – aberreal nicht vorhandene – Menge anNahrungsmitteln loszuschlagen.Warum wird mehr gehandelt, als anWare vorhanden ist? Dies ist sys-temkonformes Verhalten. Denn dieKrise ist von grundlegender Natur.In der Realwirtschaft bestehen seitEnde der 70er Jahre weniger Anla-gemöglichkeiten, also drängt dasGeld auf die Finanzmärkte. Hierentwickelt sich ein widersprüchli-ches Verhalten: Einerseits werdenzur Beherrschung der Krise Speku-lanten gebraucht, weil sie „frischesGeld“ liefern, andererseits heizt ge-nau dies die Krise an, weil die Geld-spekulation zunehmend wenigermit der Realwirtschaft zu tun hat.Vor diesem Hintergrund kann mander Kritik an der Spekulation mitNahrungsmitteln nicht das Engage-ment absprechen. Alleine sie führtins Leere, weil sie die eigentlicheUrsache nicht nennt.

ERNA goes fair – für eine faire Landwirtschaft weltweit „ERNA goes fair“ ist eine überregionaleKampagne der Aktion 3.Welt Saarfür eine faire Landwirtschaft weltweit. Hierarbeiten über Grenzen hinweg, bundesweiteinzigartig, Bauern mit Gewerkschaftern,Naturschützern und 3.Welt-Engagierten zu-sammen. Kooperationspartner der Kampa-gne sind: Bundesverband Deutscher Milch-viehhalter, Deutscher Gewerkschaftsbund(DGB) Saar, Bezirk West, Naturschutzbund(NABU) und Arbeitsgemeinschaft bäuerlicheLandwirtschaft (AbL). Im Rahmen von ERNAgoes fair finden Veranstaltungen und Dis-kussionsrunden statt. Die Zusammenarbeitmit Gewerkschaften ist dabei zentral imSinne eines fruchtbaren Erfahrungsaustau-sches in sozialen Auseinandersetzungen. Soist die angestrebte Bündelung von Milchoder eines anderen Agrarproduktes durchBauern vergleichbar mit der Bündelung vonArbeitskraft durch Gewerkschaften. Nichtder einzelne Bauer verhandelt alleine, nichtder einzelne Arbeiter verhandelt alleine. Zu-sammen erreicht man mehr. Warum sollen Bauern und Gewerkschaf-ten kooperieren? Der aggressive Marktradikalismus, der sei-tens der Wirtschaft im Wunsch nach immerstärkerem Abbau von gewerkschaftlichenTarifverträgen zum Ausdruck kommt, be-trifft Arbeiter wie Bauern gleichermaßen.Genauso wie Arbeiter hier wie in der 3.Weltdurch Rechte geschützt werden müssen,muss dies auch für die Produzenten von Le-bensmitteln, also Bauern und Bäuerinnen,gelten. Das gleiche Wirtschafts- und Denk-system, das Arbeiter dazu zwingt, immerschneller für weniger Geld zu arbeiten,zwingt auch die Produzenten von Lebens-mitteln, immer mehr für weniger Geld zuproduzieren. Am deutlichsten wird dies imBereich der Discounter: So wie gegenüberArbeiter ein aggressives Mobbing – z. B. Ka-meraüberwachung und massive Behinde-rungen bei der Gründung von Betriebsräten– betrieben wird, so findet dieses Vorgehenseine Entsprechung in der Abhängigkeit derMilchbauern von den Molkereien. Die Mol-kereien führen die Preisverhandlungen mitdem Lebensmittel-Einzelhandel und gebenerst NACH Abzug ihrer Kosten den Milch-bauern das weiter, was übrig geblieben ist.Der Letzte muss nehmen, was übrig bleibt,denn der Neoliberalismus ist nicht plötzlichnach der einen Seite sozial und fair. UnserZiel ist: Faire Arbeit – faire Löhne – faireMilchpreise.

Unsere Alternativen – Landwirtschaft geht alle an Land, Saatgut &Produkt in Bauernhand Zentral ist die Erkenntnis, dassLandwirtschaft alle etwas angehtund beileibe nicht nur Experten inihrem Fachressort. Dies ist eineQuerschnittsaufgabe. Landwirt-schaft wird es immer geben, nurwelche: Eine bäuerliche oder eineindustrielle? Die Antwort auf dieFrage, wie Landwirtschaft betriebenwird, entscheidet darüber, wie undvor allem welche Lebensmittel pro-duziert werden. Umwelt- und Tier-schutz sind dabei wichtig. Überse-hen wird aber leider allzu gerne,dass unsere Lebensmittel von Men-schen produziert werden, die fürihre Arbeit Respekt und einen fai-ren Preis verdienen. Oder ist Tier-schutz wichtiger als Menschen-schutz? 1. Bündelung in Bauernhand, fle-xible Mengensteuerung und Ab-kehr von der Exportorientierung Milchbauern werden dann eineChance für eine zukunftsfähigebäuerliche Landwirtschaft haben,wenn es ihnen gelingt, über ihrProdukt zu verfügen und mehr zusein als billige Rohstofflieferantenfür einen nationalen oder auch glo-balisierten Milchmarkt. Dies wirdmit dazu führen, das meist nichthinterfragte neoliberale Leitbild ei-nes paradiesischen Weltmarktes,der den Wohlstand aller vermehrt,ad acta zu legen. Dazu bedarf es der Bündelung vonMilch in Milcherzeugergemein-schaften, die für mehrere Bauernund Bäuerinnen zusammen diePreisverhandlungen mit den Molke-reien führen. Die Bündelung vonMilch wird dann ihre Wirkung ent-falten können, wenn sie ergänztwird durch eine Monitoringstelle,die sich am kanadischen Beispielorientiert. Bauern, Handel, Milchin-dustrie, Staat und Verbraucher sit-zen zusammen und passen die Pro-duktion flexibel an die Nachfragean. Überproduktion und Preisverfallwird aktiv gegengesteuert. Die Kon-sequenz: Der Preis bleibt stabil unddie Erzeuger kommen auf ihre Kos-ten. Die Monitoringstelle definiertauf Basis der realen Produktions-kosten einen Zielbereich für dendurchschnittlichen Milchpreis.Weicht er vom ermittelten Preis-korridor ab, wird die Milchproduk-tion gedrosselt oder ausgedehnt,um einen kostendeckenden wie ver-brauchergerechten Milchpreis zuerhalten. Wenn Bauern einen gerechterenPreis für ihr Produkt erhalten, redu-ziert sich auch der immense Druck,immer mehr produzieren zu müs-sen, um Kredite zu bedienen unddabei über Sojaimporte immer mehrFläche in der 3.Welt in Anspruchnehmen zu müssen. Damit einhergeht der Blick auf die Chancen desAnbaus von einheimischen Eiweiß-pflanzen als Futtermittel. Und da-mit gerät dann auch unaufhaltsamder Erhalt der Bodenfruchtbarkeitin den Fokus. Alles in allem erlaubt dies einenBlickwechsel, weg von der reinenExportorientierung hin zu denChancen für die Wertschöpfung inBauernhand, die regionale Märkteund Kreisläufe bieten. 2. Die Faire Milch - Fair zu Bau-ern, Verbrauchern, Tieren und der3.WeltBauern erhalten einen kostende-ckenden Preis, sie produzieren ohneGentechnik und setzen kein Soja-futtermittel aus der 3.Welt ein. Da-bei ist sie auch ein Beispiel dafür,dass die eigentliche Konfliktlinienicht zwischen bio und konventio-nell verläuft, sondern zwischenbäuerlicher und industrieller Land-wirtschaft. Auch eine industrielleLandwirtschaft mit Monokulturenlässt sich „bio“ betreiben. Umge-kehrt kann eine konventionelleLandwirtschaft viele Bio-Elementeenthalten, wie das Projekt „FaireMilch“ zeigt. Ob die Milch nun biooder konventionell erzeugt wird,hängt wesentlich davon ab, obBauern auf ihre Kosten kommenund sie nicht überall zu Einsparun-gen und „Kostenoptimierungen“ ge-zwungen werden. Auch konventio-nell lässt sich nachhaltig undschonend produzieren. Fairness ge-genüber Tieren und Verbraucherngibt es nur, wenn es vorher Fairnessfür Bauern gibt:www.die-faire-milch.deDie „Faire Milch“ ist auch ein schö-nes Beispiel für Austausch und Ver-netzung. Hier wurden Kernelementedes aus der 3.Welt-Laden-Bewe-gung bekannten fairen Handels, z.B. faire Preise für die Produzenten,übernommen. Umgekehrt gilt esaufzupassen, sich nicht der Illusionhinzugeben, private Konsumverände-rung sei der Königsweg und einVerbraucher-Mitmach-Projektwerde „es“ schon richten. Eine bes-sere Welt ist nicht käuflich. „Politikmit dem Einkaufskorb“ kann politi-sche Auseinandersetzungen undVeränderungen begleiten, dieseaber nicht ersetzen. Das Projekt derFairen Milch hat dabei einen steini-gen Weg vor sich: Aktuell wird sienur von einer Molkerei abgefülltund ist nur in einigen RegionenDeutschlands erhältlich. Und derLebensmittel-Einzel- handel setztlieber auf Eigenmarken, statt denAnsatz „Milch in Bauernhand” zuunterstützen. Ein bisschen Inter-vention und öffentliche Nachfrageseitens Verbrauchern und Verbrau-cherinnen kann hier nicht schaden. 3. Neue Bündnisse der BauernAndererseits müssen sich Bauernund ihre Organisationen in die Ge-sellschaft hinein öffnen und übergewohnte Grenzen hinweg Bünd-nisse und Kooperationen eingehen.So arbeiten beispielsweise der Bun-desverband deutscher Milchvieh-halter (BDM) und die Aktion 3.WeltSaar, die beiden Herausgeberinnendieser Flugschrift, in dem nationa-len Bündnis „Meine Landwirtschaft- unsere Wahl“ mit, neben 40kirchlichen und umweltpolitischenVerbänden. Dabei lernt man vonei-nander und vor allem werden ver-meintliche Gräben zwischen Gutund Böse Schritt für Schritt zuge-schüttet. Auch der Austausch mitGewerkschaften in dem Projekt„ERNA goes fair“ bietet Chancendes gegenseitigen Lernens. DieseBündnisse schließen ein, dass Men-schen das Recht haben, Tiere zurFleisch-, Honig- und Milcherzeu-gung zu halten. 4. Länderfinanzausgleich für dieMilchDie Produktions- und Lohnkostenfür einen Liter Milch sind von Re-gion zu Region unterschiedlich. Inklimatisch günstigeren Gebietenmit guten Böden und großen Flä-chen betragen sie rund 40 ct proLiter Milch, in Ländern mit Hangla-gen und kleinen Flächen bis zu 60ct/l. Die Lösung kann darin beste-hen, über den Markt einen Milch-preis zwischen 40-50 ct/l Milch zuerzielen. Höhere Kosten für be-nachteiligte Gebiete und Betriebemüssen durch öffentliche Gelderausgeglichen werden. Ziel ist eingerechter Ausgleich, also eine ArtLänderfinanzausgleich für Milch-bauern. Letztlich geht es bei einer (zu-kunftsfähigen) bäuerlichen Land-wirtschaft darum, dass Bauern undBäuerinnen – hier wie in der 3.Welt– über ihr Land, ihr Saatgut und ihrProdukt verfügen. Dann steht einemweltweiten Paradies, in dem für alleMilch und Honig fließen, nichtsmehr im Weg. Frei nach Rio Reiser:Schritt für Schritt ins Paradies.

"Wir haben uns 20 Jahre Hoff-nung auf Spezialisierung und denWeltmarkt gemacht und danngemerkt, dass dies eine Sack-gasse war.“ Alice Endres, Milchbäuerin, Meckel (Eifel, bei Bitburg),Milch-Board

"Wir wollen gute Milch für un-sere Mitbürger in Europa produ-zieren und davon leben können.Dumpingproduktion für die In-dustrie, damit diese den Welt-markt erobern kann, schadet denMilchbauern in Europa und unse-ren Kollegen in der 3.Welt glei-chermaßen".Romuald Schaber, Präsident EMBund BDM.

„Gandhi sagte einmal: ‚Die Welthat genug für jedermanns Be-dürfnis, aber nicht für jeder-manns Gier’.Es ist die beste Erklärung dafür,wie heute Agrarpolitik funktio-niert. Nur Bürger können dies ändern, zusammen mit ihrenBauern auf der Grundlage vonfairen Bedingungen für alle. Zu-sammenarbeit ist der erste undrichtige Schritt in diese Richtung“. Sieta van Keimpema, Vizepräsidentin EMB

„Ich finde es immer noch einenSkandal, dass genügend Nah-rungsmittel produziert werdenund niemand, absolut niemand,verhungern müsste. Hunger istein Problem der Verteilung undkein Schicksal.”Gertrud Selzer, ERNA goes fair,Vorstand der Aktion 3.Welt Saar

„Agrotreibstoffe werden aufbesten Ackerböden in der 3.Weltauch für den Energiehunger beiuns angebaut. Das gilt ebenso fürden Anbau von Soja für deutscheMilchkühe. Wenn Bauern hierwie dort über ihr Land und ihrProdukt verfügen können, dannhört dieser Irrsinn auf.“ Christian Hirsch, ERNA goes fair,Aktion 3.Welt Saar, Berlin

„Gewerkschaften und Bauern:Eine eher ungewöhnliche Verbin-dung. Beide müssen sich organi-sieren, um etwas zu erreichen.Wir in den Gewerkschaften wis-sen: Allein machen sie dich ein.Gemeinsam sind wir aber stark.”Eugen Roth, Vorsitzender DGBSaar/Bezirk West

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