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Aus Archiv der Aktion 3.Welt Saar
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Der letzte linke Kleingärtner, Teil 12: Sandinista satt

Nicht die Sonne, sondern der notorisch zu stark geröstete Nicaragua-Kaffee hat ihm dieses Mal die Sinne verbrannt: Zum Jahrestag der sandinistischen Revolution stößt unserem Kleingärtner so manches sauer auf.

Diese Kolumne wird exakt 40 Jahre nach dem Sieg der sandinistischen Revolution in Nicaragua am 19. Juli 1979 geschrieben. Was hat mir als Kleingärtner diese nationale Befreiung in den Staat hinein gebracht? Zumindest keine Pflanzen, die ich heute anbauen kann. Der legendäre Nicaragua Kaffee würde in meiner Klimazone auch nicht gedeihen. Noch nicht.

Für die Jüngeren, die das vielleicht nicht wissen: Der Nicaragua-Kaffee war die trinkbare Version des Che Guevara T-Shirts: Er gab der sandinistischen Revolution Geschmack und Gesicht. Er schmeckte megabitter, musste aber aus Solidarität getrunken werden. Dabei war es eigentlich ein Qualitätskaffee. Er war nur zu sehr gebrannt. Da sieht man es wieder: Alles ist von der Gattung Mensch abhängig, das Gute wie das Schlechte.

Jedenfalls habe ich von damals allerhand pathetische Nicaragua-Bilder behalten: von wehenden schwarz-roten Fahnen, die von Helden getragen wurden, die dabei Kalaschnikows in die Höhe hielten; und vor allem Bilder von Gioconda Belli, Daniel Ortega, Ernesto Cardenal, Sergio Ramírez, und Tomás Borge. Letzterer brachte es als Innenminister fertig, dass auf diejenigen, die ihn und seinesgleichen gefoltert hatten, nicht die Todesstrafe wartete. Diese wurde gar abgeschafft. Legendär ist sein Spruch „Meine Strafe ist zu vergeben.“

Borge könnte ich in meinem Garten gebrauchen, wenn er nicht 2012 verstorben wäre. Belli und Cardenal sorgten für die literarische und theologische Reputation der Sandinisten, und nicht zuletzt für eine erfolgreiche Alphabetisierungskampagne. Daniel Ortega hingegen sorgte sich vor allem um seinen Besitz und den seiner Familie. Heute sind die Sandinisten – Ortega ist wieder Präsident – bestenfalls eine Karikatur ihrer selbst und eine Kopie des von ihnen gestürzten Diktators Somoza.

Geblieben sind mir außerdem die Bilder von NGOs, die das nationale sandinistische Pathos toppten, indem sie mit Bezug auf die (erfolglose) Verteidigung der spanischen Republik zwischen 1936 und 1939 gegen Franco Brigadisten nach Nicaragua entsandten: Nicht mit der Waffe in der Hand, sondern mit Hacke und Spaten, um Kaffee zu ernten. Statt hier im eigenen Land die Kleingärten der Revolution anzulegen und zu hegen, harkte man lieber woanders fürs letzte Gefecht. Meine Güte.

Statt im eigenen Land die Kleingärten der Revolution anzulegen, harkte man lieber in Nicaragua fürs letzte Gefecht.

Zu den besseren Erinnerungen, die mir geblieben sind, gehört die Trippel-LP – nein kein Schreibfehler, „Longplayer“ nannte man den vorvorherigen Stand der Technik bei der Speicherung von Musik – der Punker von „The Clash“. Die hieß bezeichnenderweise „Sandinista!“ und begleitet mich manchmal bei der Gartenarbeit. Zumindest gibt sie mir den inneren Takt vor. Worauf sich dann gleich wieder ein trauriges Bild einstellt. Nicht nur die Sandinisten sind gescheitert, Joe Strummer von „The Clash“ ist ebenfalls nicht mehr unter uns. Obwohl Helden doch eigentlich niemals sterben.

Es hat keinen Zweck. Ich muss es wieder einmal selbst richten. So wie auf die Sandinisten kein Verlass war, so ist auch kein Verlass auf die obligatorischen Gartentipps in den Zeitungen. Es sind die immer gleichen Artikel zum gleichen Zeitpunkt im Jahr. Hier ist die Rede von Schädlingen, Schnecken, Engerlingen, Raupen, Blattläusen etc. Korrekt, Blattläuse laben sich an den Stängeln von dicken Bohnen und anderen Pflanzen. Aber warum die journalistische Aufregung? Immer locker bleiben und kurz in der inneren geistigen Öko-Schatulle nachsehen. Dann kommt man schnell drauf, dass diese Widerlinge auch ihre natürlichen Feinde haben: Marienkäfer; orangefarben mit schönen Punkten auf ihrem Kleid.

Also, nur die Ruhe bewahren und Finger weg von der chemischen Keule. So ganz unsympathisch sind die Ökos gar nicht. Wenn sie nur nicht häufig so bierernst und moralinsauer wären. Außerdem verstehen sie von Ökonomie meist eher nichts. Das ist für sie ungefähr dasselbe wie Ökumene. Viel Gelaber, viel Wohlfühlen und sich gegenseitig gut zureden.

Was sonst noch los ist im Garten? Mangels Regen muss ich mich dieses Jahr mit weniger zufrieden geben, aber es reicht für den unmittelbaren Bedarf. Salate, Zucchini, Gurken und die noch lange nicht reifen Kartoffeln und Kürbisse. Die Ernte der Buschbohnen hat allerdings schon begonnen und soeben werfen auch die Stangenbohnen ihre ersten Schoten in mein Körbchen.

In Deutschland, Luxemburg und anderswo werden doch eigentlich ständig nationale Kraftanstrengungen unternommen – für E-Tretroller, für Autofahrer, für den Fußball, für den Abbau der Überstunden bei der Polizei, für die Zonenrandgebiete auf dem Land und in der Stadt, für die Bahn und für Flughäfen aller Couleur. Wo aber bleibt die nationale Kraftanstrengung für uns Kleingärtner? Nichts. Kein Wassercent, einfach nichts. Ob Nicaragua, ob Deutschland, Luxemburg oder wo auch immer: Wir müssen alles selbst in die Hand nehmen. Uns hilft kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun. Womöglich ist auch auf den Staat kein Verlass. Oder doch?

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