Datei:2019-07-24 jungle world (54) Vom Scheitern der grossen Sache - Revolutionskaffee, Joe Strummer und zu wenig Regen.pdf: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Archiv der Aktion 3.Welt Saar
Zur Navigation springen Zur Suche springen
 
Zeile 1: Zeile 1:
Importing file
+
Krauts und Rüben – der letzte linke Kleingärtner, Teil 54
 +
 
 +
Revolutionskaffee, Joe Strummer und zu wenig Regen.
 +
 
 +
== Vom Scheitern der großen Sache ==
 +
 
 +
Diese Kolumne wurde exakt 40 Jahre nach dem Sieg der sandinistischen Revolution in Nicaragua am 19. Juli 1979 geschrieben. Was hat mir als Kleingärtner diese nationale Befreiung gebracht? Zumindest keine Pflanzen, die ich heutzutage anbauen könnte. Der berühmte Kaffee aus Nicaragua wächst in meiner Klimazone nicht, beziehungsweise noch nicht. Das kann aber noch werden. Dieser Kaffee gab der sandinistischen Revolution Geschmack und Gesicht. Er schmeckte schrecklich bitter, musste aber aus Solidarität getrunken werden. Dabei war es eigentlich ein Qualitätskaffee. Er war nur zu scharf gebrannt. Da sieht man es wieder: Alles ist von der Gattung Mensch abhängig, das Gute wie das Schlechte.
 +
 
 +
In der Erinnerung des Kleingärtners wehen allerhand schwarz-­rote Fahnen, die von Helden getragen wurden. Es sind pathetische Nicaragua-Bilder, vor allem von Gioconda Belli, Daniel Ortega, ­Ernesto Cardenal, Sergio Ramírez und Tomás Borge. Manche Sandinisten hielten Kalaschnikows in die Höhe.
 +
 
 +
Borge verhängte später als Innenminister gegen diejenigen, die ihn und seinesgleichen gefoltert hatten, nicht etwa die Todesstrafe. Diese wurde vielmehr abgeschafft. Überliefert ist sein Bonmot: »Meine Strafe ist es, zu vergeben.« Okay, den Mann könnte ich in meinem Garten gebrauchen; allerdings ist er 2012 gestorben. Während Belli und Cardenal für die literarische und theologische Reputation der Sandinisten und für eine erfolgreiche Alphabetisierungskampagne sorgten, kümmerte sich Ortega vor allem um seinen Besitz und den seiner Familie. Heutzutage sind die Sandinisten – Ortega ist seit 2007 wieder Präsident – bestenfalls Karikaturen ihrer selbst und Kopien des von ihnen gestürzten Diktators Somoza.
 +
 
 +
Geblieben sind in der Erinnerung des Kleingärtners auch die deutschen NGOs, die damals das nationale sandinistische Pathos noch übertrafen, indem sie mit Verweis auf die schließlich gescheiterte Verteidigung der Zweiten Spanischen Republik zwischen 1936 und 1939 gegen Franco und seine Faschisten Brigadisten nach Nicaragua entsandten: nicht mit der Waffe in der Hand in den Kampf, sondern mit Hacke und Spaten in die Plantagen. Statt in Deutschland die Kleingärten der Revolution anzulegen, werkelten die Freiwilligen lieber woanders fürs letzte Gefecht.
 +
 
 +
'''Der Kleingärtner muss es selbst richten'''
 +
 
 +
Zu den besseren Erinnerungen gehört die Dreifach-LP – nein, kein Schreibfehler, die LP beziehungsweise die Langspielplatte war in der Vergangenheit ein weitverbreitetes Medium für Musik – von The Clash. Sie hieß »Sandinista!« und begleitet mich manchmal bei der Gartenarbeit – wobei sich dann gleich wieder Traurigkeit einstellt: Die Sandinisten sind gescheitert und Joe Strummer von The Clash ist nicht mehr unter uns. Obwohl Helden doch eigentlich nie sterben.
 +
 
 +
Es hat also keinen Zweck. Der Kleingärtner muss es selbst richten. Wie auf die Sandinisten kein Verlass war, so ist auch kein Verlass auf die obligatorischen Gartentipps in den Zeitungen. Es sind immer die gleichen Artikel zum gleichen Zeitpunkt im Jahr. Da ist die Rede von Schädlingen, also Schnecken, Engerlingen, Raupen, Blattläusen und so weiter. Richtig, Blattläuse laben sich an den Stengeln der Dicken Bohnen und anderer Pflanzen. Aber warum die Aufregung? Es geht alles seinen geordneten Gang. Immer locker bleiben und den inneren Öko befragen. Der kommt schnell darauf, dass diese Widerlinge auch ihre natürlichen Feinde haben: Marienkäfer; orange oder rot mit schönen schwarzen Punkten. Als Fußballfan sind die mir sehr sympathisch wegen dieser Punkte und als Kleingärtner wegen ihrer Fressleistung.
 +
 
 +
Also, nur die Ruhe bewahren, auf die chemische Keule verzichten und dem Substantiv »Kreislauf« unvoreingenommen begegnen. Alles wird gut. So ganz unsympathisch sind die Ökos auch gar nicht. Wenn sie nur nicht häufig so bierernst und moralinsauer wären. Und ja, von Ökonomie verstehen sie eher nichts. Das ist für sie so etwas wie Ökumene – viel Gelaber, viel Wohlfühlen und sich ge­genseitig gut zureden. Aber als Kleingärtner ist man eh republikweit der härteste Pragmatiker und kann deshalb auch mit dieser Problemgruppe ganz gut.
 +
 
 +
Was läuft ansonsten im Garten? Mangels Regen kann ich dieses Jahr die Ziele nicht ganz so hoch stecken bei Salaten, Zucchini, Gurken und den noch lange nicht reifen Kartoffeln und Kürbissen. Dafür hat aber die Ernte der Buschbohnen schon begonnen und bald landen die ersten Schoten der Stangenbohnen in meinem Körbchen. In diesem Land wird doch eigentlich ständig irgendeine nationale Kraftanstrengung unternommen, für E-Tretroller, für Autofahrer, für den Fußball, für den Abbau von Überstunden bei der Polizei, für abgehängte Regionen, für die Bahn und für Flughäfen aller Größen. Wo aber bleibt die nationale Kraftanstrengung für die Kleingärtner? Nichts ist in Sicht, kein Wassercent, kein Soli, einfach nichts. Ob Nicaragua, ob Deutschland oder der Rest der Welt: Kleingärtner müssen alles selbst in die Hand nehmen. Ihnen hilft kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Und auf den Staat ist eh kein Verlass.
 +
 
 +
[[Kategorie:2019]]
 +
[[Kategorie:Agrar / Ernährung]]
 +
[[Kategorie:Aktion 3. Welt Saar]]
 +
[[Kategorie:ERNA-Agrarkolumne Krauts und Rüben]]
 +
[[Kategorie:Landwirtschaft]]
 +
[[Kategorie:Roland Röder]]

Version vom 27. Dezember 2019, 02:54 Uhr

Krauts und Rüben – der letzte linke Kleingärtner, Teil 54

Revolutionskaffee, Joe Strummer und zu wenig Regen.

Vom Scheitern der großen Sache

Diese Kolumne wurde exakt 40 Jahre nach dem Sieg der sandinistischen Revolution in Nicaragua am 19. Juli 1979 geschrieben. Was hat mir als Kleingärtner diese nationale Befreiung gebracht? Zumindest keine Pflanzen, die ich heutzutage anbauen könnte. Der berühmte Kaffee aus Nicaragua wächst in meiner Klimazone nicht, beziehungsweise noch nicht. Das kann aber noch werden. Dieser Kaffee gab der sandinistischen Revolution Geschmack und Gesicht. Er schmeckte schrecklich bitter, musste aber aus Solidarität getrunken werden. Dabei war es eigentlich ein Qualitätskaffee. Er war nur zu scharf gebrannt. Da sieht man es wieder: Alles ist von der Gattung Mensch abhängig, das Gute wie das Schlechte.

In der Erinnerung des Kleingärtners wehen allerhand schwarz-­rote Fahnen, die von Helden getragen wurden. Es sind pathetische Nicaragua-Bilder, vor allem von Gioconda Belli, Daniel Ortega, ­Ernesto Cardenal, Sergio Ramírez und Tomás Borge. Manche Sandinisten hielten Kalaschnikows in die Höhe.

Borge verhängte später als Innenminister gegen diejenigen, die ihn und seinesgleichen gefoltert hatten, nicht etwa die Todesstrafe. Diese wurde vielmehr abgeschafft. Überliefert ist sein Bonmot: »Meine Strafe ist es, zu vergeben.« Okay, den Mann könnte ich in meinem Garten gebrauchen; allerdings ist er 2012 gestorben. Während Belli und Cardenal für die literarische und theologische Reputation der Sandinisten und für eine erfolgreiche Alphabetisierungskampagne sorgten, kümmerte sich Ortega vor allem um seinen Besitz und den seiner Familie. Heutzutage sind die Sandinisten – Ortega ist seit 2007 wieder Präsident – bestenfalls Karikaturen ihrer selbst und Kopien des von ihnen gestürzten Diktators Somoza.

Geblieben sind in der Erinnerung des Kleingärtners auch die deutschen NGOs, die damals das nationale sandinistische Pathos noch übertrafen, indem sie mit Verweis auf die schließlich gescheiterte Verteidigung der Zweiten Spanischen Republik zwischen 1936 und 1939 gegen Franco und seine Faschisten Brigadisten nach Nicaragua entsandten: nicht mit der Waffe in der Hand in den Kampf, sondern mit Hacke und Spaten in die Plantagen. Statt in Deutschland die Kleingärten der Revolution anzulegen, werkelten die Freiwilligen lieber woanders fürs letzte Gefecht.

Der Kleingärtner muss es selbst richten

Zu den besseren Erinnerungen gehört die Dreifach-LP – nein, kein Schreibfehler, die LP beziehungsweise die Langspielplatte war in der Vergangenheit ein weitverbreitetes Medium für Musik – von The Clash. Sie hieß »Sandinista!« und begleitet mich manchmal bei der Gartenarbeit – wobei sich dann gleich wieder Traurigkeit einstellt: Die Sandinisten sind gescheitert und Joe Strummer von The Clash ist nicht mehr unter uns. Obwohl Helden doch eigentlich nie sterben.

Es hat also keinen Zweck. Der Kleingärtner muss es selbst richten. Wie auf die Sandinisten kein Verlass war, so ist auch kein Verlass auf die obligatorischen Gartentipps in den Zeitungen. Es sind immer die gleichen Artikel zum gleichen Zeitpunkt im Jahr. Da ist die Rede von Schädlingen, also Schnecken, Engerlingen, Raupen, Blattläusen und so weiter. Richtig, Blattläuse laben sich an den Stengeln der Dicken Bohnen und anderer Pflanzen. Aber warum die Aufregung? Es geht alles seinen geordneten Gang. Immer locker bleiben und den inneren Öko befragen. Der kommt schnell darauf, dass diese Widerlinge auch ihre natürlichen Feinde haben: Marienkäfer; orange oder rot mit schönen schwarzen Punkten. Als Fußballfan sind die mir sehr sympathisch wegen dieser Punkte und als Kleingärtner wegen ihrer Fressleistung.

Also, nur die Ruhe bewahren, auf die chemische Keule verzichten und dem Substantiv »Kreislauf« unvoreingenommen begegnen. Alles wird gut. So ganz unsympathisch sind die Ökos auch gar nicht. Wenn sie nur nicht häufig so bierernst und moralinsauer wären. Und ja, von Ökonomie verstehen sie eher nichts. Das ist für sie so etwas wie Ökumene – viel Gelaber, viel Wohlfühlen und sich ge­genseitig gut zureden. Aber als Kleingärtner ist man eh republikweit der härteste Pragmatiker und kann deshalb auch mit dieser Problemgruppe ganz gut.

Was läuft ansonsten im Garten? Mangels Regen kann ich dieses Jahr die Ziele nicht ganz so hoch stecken bei Salaten, Zucchini, Gurken und den noch lange nicht reifen Kartoffeln und Kürbissen. Dafür hat aber die Ernte der Buschbohnen schon begonnen und bald landen die ersten Schoten der Stangenbohnen in meinem Körbchen. In diesem Land wird doch eigentlich ständig irgendeine nationale Kraftanstrengung unternommen, für E-Tretroller, für Autofahrer, für den Fußball, für den Abbau von Überstunden bei der Polizei, für abgehängte Regionen, für die Bahn und für Flughäfen aller Größen. Wo aber bleibt die nationale Kraftanstrengung für die Kleingärtner? Nichts ist in Sicht, kein Wassercent, kein Soli, einfach nichts. Ob Nicaragua, ob Deutschland oder der Rest der Welt: Kleingärtner müssen alles selbst in die Hand nehmen. Ihnen hilft kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Und auf den Staat ist eh kein Verlass.

Dateiversionen

Klicke auf einen Zeitpunkt, um diese Version zu laden.

Version vomVorschaubildMaßeBenutzerKommentar
aktuell18:36, 3. Okt. 2019Vorschaubild der Version vom 3. Oktober 2019, 18:36 Uhr1.240 × 1.753, 2 Seiten (720 KB)Maintenance script (Diskussion | Beiträge)
  • Du kannst diese Datei nicht überschreiben.

Keine Seiten verwenden diese Datei.

Metadaten