Datei:2019-07-17 jungle world Der Staat soll es richten Klimadebatte.pdf: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 13. August 2020, 18:23 Uhr

Der Staat soll es richten

Das Gros der linken Debatte über Klimapolitik dreht sich um staatliche Interventionen und individuelles Konsumverhalten. Doch dabei wird viel übersehen, wie etwa die Bedeutung der Landwirtschaft.

Von Roland Röder

Während in ganz Deutschland die Klima-debatte tobt, ist viel von dem, was gegen den Klimawandel getan werden könnte, schon unzählbar oft gesagt worden. Hierzulande sind die meisten Argumente spätestens seit dem Bun-destagswahlkampf 1990 bekannt, als die Grünen (das muss man ihnen bei al-ler Kritik lassen) einen »Klimawahl-kampf« führten – damit aber im natio-nalen Einheitstaumel den Einzug in den Bundestag verpassten.Welche Politik man konkret macht und mit welchen Bündnispartnern, ist abhängig von der gewählten Heran-gehensweise. Man kann grob vier un-terscheiden, die Grenzen sind fließend

Da wäre zuerst einmal die gute alte Revolution – »auf zum letzten Ge-fecht«, wie es in der Internationale heißt. Also Abschaffung des Kapitalismus, des Privateigentums an Produltionsmit-teln und so weiter. Diese Option gestaltet sich derzeit schwierig. Somit kommt man gleich zur zweiten Option: staatliche Interventionen in die Wirtschaft. Dies läuft auf eine de-mokratische Planwirtschaft auf globa-ler Ebene hinaus, wie sie auch Jörn Schulz vorgeschlagen hat (Jungle World 15/2019).Die dritte Möglichkeit besteht in beruhigender Symbolpolitik. Hier be-findet man sich auf der derzeit viel diskutierten Lifestyle-Ebene und ver-sucht, mit verändertem individuellem Konsumverhalten, etwa dem Kauf von fair gehandelten, biologischen, veganen und »nachhaltigen« Produkten, die Welt zu retten. Auch die Kohlendioxid-steuer, die ärmere Menschen stärker trifft, gehört hierher.Als vierte Option bleibt, einfach wei-terzumachen wie bisher: Hier findet man die sogenannten Klimaleugner unddiejenigen, die dem praktizierten Wirtschafts- und Politikmodell genü-gend Selbstheilungskräfte zuschrei-ben. Die Anhänger dieser Option sind bestenfalls zu verbalen Zugeständ-nissen bereit, versuchen sich, wenn sie klug sind, in Lippenbekenntnissen gegenüber der »Fridays for Future«-Bewegung, wollen aber, dass alles beim Alten bleibt.Das Gros der linken Debatte – von Intervention kann man nur ausnahms-weise reden – hält sich mit der zweiten Option (Staats-interventionen) auf und macht punktuell Anleihen bei der dritten (Konsumverhalten). Dabei ist entscheidend, welche Rolle man dem Staat zuschreibt: etwa die des neutralen Sachwalters, der mit dem richtigen Druck zu guten Entschei-dungen genötigt werden kann. Dies ent-spricht der Auffassung des griechi-schen Soziologen Nicos Poulantzas (1936 –1979), der den Staat »als materi-elle Verdichtung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse« definierte und da-mit als veränderbar ansah.Oder man folgt eher der klassischen marxistischen Staatskritik, die den Staat nicht als neutral ansieht, sondern als Verwalter des kapitalistischen Ge-samtinteresses. Demnach kann es vor-kommen, dass der Staat gegen die Inter-essen einer Kapitalfraktion entschei-det, wenn das Gesamtinteresse zu leiden droht, und daher beispielsweise der Einführung eines Mindestlohns zu-stimmt. Meist werden dann wie bei der rot-grünen Koalition von 1998 bis 2005 die Parteien an die Regierung ge-lassen, die einige Impulse gesellschaft-lichen Protests aufgreifen, sofern sich dadurch das Wirtschaftswachstum nicht verlangsamt. Diese Parteien setzen in der Regel eine Politik durch, die unter ihren Vorgängern nicht oder nur schwer durchsetzbar gewesen wäre. Das entspricht in weitesten Sinne dem, was der Politologe Johannes Agnoli in den sechziger Jahren als »Transforma-tion der Demokratie« bezeichnete.Auf der Handlungsebene sind drei große Bereiche zu unterscheiden. In jedem davon sind schon Vorarbeiten geleistet und im Duktus des Pragma-tismus und der Realpolitik wissen-schaftlich und politisch machbare Alter-nativen erarbeitet worden. Der erste Bereich ist Verkehr, Mobilität und Ener-gie. Hier könnte eine Geschwindig-keitsbegrenzung von 120 km/h auf Auto-bahnen und 30 km/h innerorts viel Hektik aus dem Alltag nehmen und gleich zeitig den Schadstoffausstoß in relevantem Ausmaß senken. Ein ande-rer Strang wäre die absolute Priori-sierung des schienengebundenen und fahrscheinlosen öffentlichen Perso-nennahverkehrs, und zwar auch und besonders im ländlichen Raum. Mit Letzterem haben Linke zwar meist nicht viel am Hut, aber diese Kröte wäre zu schlucken – dem Klima zuliebe. Und wenn man dann noch die längst fällige Flugbenzinbesteuerung hin-bekäme und Flughäfen in Deutschland wie Braunkohletagebau sehen würde, wäre nicht nur in der Phantasie der Klimaschützer viel erreicht. Energie müsste dezentral erzeugt werden, ohne für Agrotreibstoffe hier und im globalen Süden Land in Beschlag zu nehmen.Der zweite Bereich ist die Landwirtschaft. Wer sagt, dass Land Privat-eigentum sein muss? Es ist denkbar, dass das bebaubare Land Gemein-besitz ist und von Bauern lebenslang gepachtet wird. Derzeit erlebt man in der EU in punctoLandaufkauf und -kon-zentration sozusagen eine neue Form des preußischen Junkertums der Vor-kriegszeit. Ebenso wenig gehört Saatgut in Privatbesitz. Wenn es Alllgemein-gut ist, wird man eher auf Ertragssicher-heit und nicht auf Hochertrag züch-ten. Und wenn der Gewinndruck fällt, wird man wohl nebenbei auch eine größere Vielfalt züchten. Auch die soge-nannten Nachbaugebühren, mit denen Bauern finanziell geknechtet werden, würden dann der Vergangenheit ange-hören. Das dazu passende Leitbild wäre die Ernährungssouveränität. Der Begriff hat die internationale Landlosenbewe-gung »Via Campesina« geprägt. Er beschreibt das gemeinsame Aushan-deln dessen, was in einer Gesellschaft produziert und verarbeitet wird, mit welchem Saatgut und wer dies wie macht. Zu einer anderen Landwirtschaft gehört auch die Reduzierung des Fleischkonsums. Was spricht eigentlich dagegen, dies gesellschaftlich aus-zuhandeln und via Bezugsscheinen zu organisieren? Die Alternative dazu ist, das Feld der »Weiter so«-Fraktion zu überlassen oder sich mit dem klein-karierten Dogmatismus von Veganern, Tierrechtlern und moralinsauren Ökos abzufinden. Denn »bio« ist eine andere Anbaumethode, aber kein an-deres Wirtschaftssystem.Damit Linke sich an diesem Prozess beteiligen, müssten sie ihre Distanz zu den Kämpfen von Bauern und Bäue-rinnen aufgeben. Hand aufs Herz: Wie viele Linke haben sich schon an den politischen Kämpfen des Bundesver-bands Deutscher Milchviehhalter be-teiligt? Dieser Verband versucht jenseits der Wachstumsfanatiker des Deutschen Bauernverbands und jenseits der »An Bio soll die Welt genesen«-Fanatiker, mehr Teilhabe für Bauern zu erreichen, zum Beispiel durch eine favorisierte Milchmengen-steuerung, die bislang von der EU abgelehnt wird.Der dritte Bereich betrifft Wohnun-gen. Es gibt zwar weder ein Recht auf Stadt noch ein Recht darauf, sich mit einem dicken Konto jede große Woh-nung in der Stadt oder auf dem Land leisten zu können. Sehr wohl aber ein Recht auf Wohnen für alle, das gesell-schaftlich auszuhandeln wäre. Da wird man manch einem mit 200 oder 300 Quadratmetern Wohnfläche für zwei oder drei Personen auf die Füße treten müssen. Und dass in der Öko-metropole Freiburg über 160 Hektar Ackerfläche platt gemacht werden sollen (Jungle World 45/2018), um dem immensen Wohnungsbedarf gerecht zu werden, entspricht genau dem Den-ken jener alten Ökoideologen, die viel im Symbolischen agieren, aber nichts systemisch verändern wollen.Was es braucht, ist eine radikale Real-politik. Egal wie man es dreht: Es wird Paradigmenwechsel und für einige im privaten und vor allem im Hamsterrad der Makroökonomie Einschnitte geben müssen. Sowohl von der Vorstellung »mein Haus«, »mein Land«, »mein Auto« wie auch von der Unantastbarkeit von Privateigentum wird man sich verabschieden müssen.

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