Datei:2019-06-09 Paulinus Bittere Orangen.pdf: Unterschied zwischen den Versionen

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Nummer 23  ·  9. Juni 2019PAULINUS            5
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== NÄHER BETRACHTET. Was kommt nach der Flucht? Der Luxemburger Ethnologe Gilles Reckinger hat in Saarbrücken vom Schicksal afrikanischer Flüchtlinge in Süditalien berichtet.
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Von Hans Georg SchneiderVöllig  erschöpft,  oft  unter  Folieneingepackt,  werden  sie  aus  Schif-fen  an  Land  geführt:  Die  Bildervon  der  Ankunft  Geflüchteter  inLampedusa  sind  um  die  ganzeWelt gegangen. Die Menschen ausAfrika  sind  traumatisiert,  aber  siehaben      die      lebensgefährlicheFlucht  über  das  Mittelmeer  über-lebt. Doch was ist dann? Was ist mitdem  Traum  von  einem  besserenLeben  in  Europa?  Der  Luxembur-ger  Ethnologe  Prof.  Dr.  Gilles  Re-ckinger  ist  nach  Lampedusa  ge-gangen und den Flüchtlingen aufsFestland  gefolgt.  Viele,  vor  allemMänner, landen im Süditalien undwerden in den kalabrischen Oran-genplantagen      ausgebeutet.      Indem  Buch  „Bittere  Orangen  –  Einneues  Gesicht  der  Sklaverei  inEuropa“  hat  Reckinger  sein  For-schungsprojekt          zusammenge-fasst. Am  16.  Mai  hat  der  in  Inns-bruck  und  Luxemburg  lebendeEthnologe in Saarbrücken in einerVeranstaltung  der  Aktion  3.  WeltSaar  vor  rund  50  Interessiertenüber seine Erfahrungen berichtet.Hungerlöhne und miserable UnterkünfteSo  gut  wie  niemand  unter  denFlüchtlingen, egal welchen Statussie  offiziell  haben,  bekommt  inItalien  einen  Arbeitsvertrag,  be-richtete  Reckinger.  Die  Menschenseien  auf  sich  gestellt  und  daraufangewiesen,  zu  arbeiten.  In  Süd-italien  landeten  die  Männer  inden Orangenplantagen und müss-ten  unter  menschenunwürdigenBedingungen  arbeiten.  Arbeit  ge-be es nur von November bis März.Jeden  Tag  werde  von  den  Planta-genbesitzern  entschieden,  wer  ar-beiten  darf.  „Die  Arbeitgeber  kön-nen  sich  bedienen  wie  im  Super-markt“,  illustrierte  Reckinger  sei-ne  Beobachtungen  am  „Arbeits-strich“ von Rosarno, einer kleinenStadt  in  der  italienischen  Stiefel-spitze. Je 20 bis 30 Männer werdenin  Bussen  in  die  Plantagen  ge-bracht.  Dort  müssen  sie  für  25Euro  am  Tag  in  Nässe  und  Kältearbeiten. Fünf Euro gehen für denBustransfer drauf. Und Arbeit gibtes vielleicht nur fünf bis zehn Malin  der  Saison.  Mittellos  und  ohnePerspektive  seien  die  Flüchtlingezunehmend  in  Kalabrien  gefan-gen.  Zu  den  Hungerlöhnen,  dienicht zum Überleben reichten, kä-men  „schreckliche  Wohnverhält-nisse“  in  Containern,  Zelten  undSlumhütten. Unrühmlich Rolle von Politik und MafiaDie Orangenhaine in Kalabrien,meist  in  Familienbesitz,  warenverwildert.  Erst  mit  der  Ankunftder Flüchtlinge lohnte es sich wie-der,  die  Orangen  zu  pflücken  undauf dem Weltmarkt zu verkaufen,berichtet  Reckinger  und  verweistauf die mächtige Rolle der kalabri-schen Mafia. Trotz  des  Elends  und  der  ganzunterschiedlichen  Herkunft  sinddie  Flüchtlinge  untereinander  so-lidarisch,  hat  der  Autor  erfahren.In  dem  Slum,  das  er  erlebt  hat,hatten    sich    urbane    Strukturenausgebildet.    Es    gab    Suppenkü-chen,  „Tante-Emma-Läden“,  in  de-nen  man  Lebensmittel  billig  undin  kleinen  Mengen  kaufen  konn-te,  es  gab  eine  Fahrradwerkstattund  vieles  mehr.  Dann  habe  deritalienische  Innenminister  dieseZeltstadt  abreißen  lassen,  damitdiese  Strukturen  zerstört  und  derMafia  einen  großen  Dienst  erwie-sen,  indem  die  ausgebildeten  For-men von Solidarität und Selbsthil-fe gleich mit zerstört wurden. Was  kann  man  tun?  Auf  dieseFrage  aus  dem  Publikum  konnteauch  Reckinger  keine  einfacheAntwort  geben.  Im  Geschäft  da-nach  fragen,  wo  die  Orangen  her-kommen,  und  sich  für  die  Lageder  Plantagenarbeiter  interessie-ren,  wäre  eine  Sache.  Eine  andereMöglichkeit:  Politikerinnen  undPolitiker  auf  das  Problem  hinwei-sen  und  fragen,  was  sie  machenwollen. Grundsätzlich  gehe  es  darum,die  europäische  Agrarpolitik  zuändern  und  sich  für  faire  Land-wirtschaft weltweit einzusetzen. InfoWer sich weiter informieren will:Gilles Reckinger: „Bittere Orangen– Ein neues Gesicht der Sklavereiin Europa“, Peter Hammer Verlag,ISBN: 978-3-7795-0590-7, 232Seiten, 24 Euro. Oder bei der Akti-on 3.Welt Saar: www.a3wsaar.de.Bittere OrangenGastbeitragKirchliche Hierarchie, der synodale Weg und die Anhörung zum neuen BistumsgesetzGedanken zur Synodenumsetzung im Bistum Trier.Von Josef FreiseKardinal Reinhard Marx hat nachder Deutschen Bischofskonferenzin Lingen zu Fragen des Miss-brauchs den „Synodalen Weg derKirche in Deutschland“ angekün-digt. Dieser sei vor dem Hinter-grund der anhaltenden Krise derKirche von der Deutschen Bi-schofskonferenz beschlossen wor-den. Der synodale Weg ist als ge-meinsamer und offener Diskussi-onsprozess von Klerikern und Lai-en über die Zukunft der Kircheangelegt. In der Tat geht es um dieÜberwindung des Zwei-Klassen-Systems von Klerikern und Laien.Dieses Zwei-Klassen-System wur-de in der Vergangenheit häufigmit der hierarchischen Grund-struktur der katholischen Kirchebegründet. Kirchliche Hierarchiekann aber nicht für eine Zwei-Klassen-Struktur herhalten.Kirchliche Hierarchie darf nichtmachtpolitisch instrumentalisiertwerden; sie hat von ihrem Ur-sprung her eine spirituelle Aus-richtung.  Hierarchie bedeutet dem Wort-sinn nach heiliger Ursprung, hei-lige Herrschaft und bezeichnet inder vom Zweiten Vatikanum er-läuterten Lehre von der Kirchedas neue Gottesvolk mit JesusChristus als seinem unsichtbarenHaupt. Jesus setzte die zwölf Apos-tel ein, die die Präsenz Jesu Christiin der Kirche verdeutlichen. Hie-rarchie zielt letztlich auf die sicht-bare Stellvertretung Jesu. Die Äm-ter des Priesters, des Bischofs unddes Diakons sind sakramentaleZeichen der Gegenwart JesuChristi. Die Weihe gilt als ein un-auslöschliches sakramentales Zei-chen. Dieses sakramentale Zei-chen kann verglichen werden mitder im vierten Gebot benanntenWürde, die ein Mensch als Vateroder Mutter hat. Wer Vater bzw.Mutter geworden ist, bleibt diesdas ganze Leben hindurch. Eben-so bleibt ein Mensch, der sich alsDiakon, Priester oder Bischof Gottgeweiht hat, sein Leben hindurchDiakon, Priester, Bischof. Die hie-rarchische Struktur der Kirchehat also eine geistliche Bedeu-tung. Der Priester gewährleistetals Diener der Einheit in der Eu-charistie die Gegenwart Christi.Problematisch wird der Bezug aufHierarchie im Kirchenrecht dann,wenn das Weiheamt für die Be-gründung menschlicher Aufga-ben und Funktionen herangezo-gen und machtpolitisch instru-mentalisiert wird. Schon der Kon-zilstheologe und KirchenrechtlerKarl Mörsdorf (1909–1989) ver-wies auf die notwendige Unter-scheidung von Weihe und Aufga-be. Die Weihe ist eine Form dergeistlichen Würde; sie kann nichtzeitlich begrenzt oder entzogenwerden. Die Aufgabe der Leitungeiner Gemeinde oder eines Bis-tums kann sehr wohl zeitlich undinhaltlich begrenzt werden. DerMachtmissbrauch in der Kirchehat in dieser Vermengung vonWeihe und Leitungsaufgabe einenUrsprung. Wenn beispielsweiseein Pfarrer glaubt, kraft seinesWeiheamtes in jedem Fall dieLetztentscheidung bei Finanzfra-gen oder Personalfragen in der Ge-meinde auch gegen Mehrheitsvo-ten zu haben, dann ist das einMissbrauch seines Weiheamtes.Dass die katholische Kirche nurBischöfe zu Kardinälen ernennt –das Kardinal sein ist kein Weihe-amt –, kann als Missachtung desVolkes Gottes und insbesondereder Frauen angesehen werden.Die Kirche hat noch einen langenWeg vor sich, alle innerkirchli-chen Strukturen des Machtmiss-brauchs zu identifizieren und zubeseitigen. Wenn Bischof Willmeraus Hildesheim davon sprach,dass der Machtmissbrauch in denGenen der Kirche zu finden sei,dann ist dies kritisiert und  –viel-leicht sogar gewollt –  missver-standen worden. Was er meinte,war, dass der Machtmissbrauchtief in der Struktur der Kirche –beispielsweise auch  im Kanoni-schen Recht – verankert ist.Einige deutsche Diözesen ha-ben aus der Vermischung vonWeiheamt und Aufgabe die Kon-sequenz gezogen, nur diejenigenpriesterlichen Dienste allein demPriester vorzubehalten, die direktmit seiner Weihe in Verbindungstehen. Das sind der Vorsitz amTisch der Eucharistie sowie dieSpendung des Beichtsakramentsund der Krankensalbung. Alle an-deren seelsorglichen Tätigkeitenteilen sie sich auch angesichts desPriestermangels mit haupt- undehrenamtlichen Laien, die auf derBasis des Priestertums aller Gläu-bigen ebenfalls Anteil an den sa-kramentalen Diensten haben. Esgibt in der Diözese Trier Priester,die mit Blick auf die Pfarrei derZukunft die zukünftige Rolle von(nicht leitenden) Priestern vonder sakramentalen Begleitung herneu in den Blick genommen ha-ben. Das ist ein wirklich zukunfts-weisender Ansatz. Er ist theolo-gisch und spirituell begründet.  Hier sollen zwei Vorschläge ge-macht werden, wie im Ersten Ge-setz zur Umsetzung der Ergebnis-se der Diözesansynode 2013 –2016 die Unterscheidung vonWeihe und Aufgabe konsequenterumgesetzt werden könnte. Dererste Vorschlag: Der Vorsitz desLeitungsteams einer Pfarrei derZukunft könnte auch an einenhauptamtlichen Laien delegiertwerden.  Bei der Entwicklung derPriesterzahlen ist schon jetzt ab-sehbar, dass bald nicht mehr ge-nügend Priester für die Leitungder (Groß-)Pfarreien zur Verfü-gung stehen werden. Wenn wirdie hierarchische Struktur derKirche nicht machtpolitisch, son-dern spirituell deuten, können al-le Leitungsaufgaben außer Eucha-ristievorsitz, Bußsakrament undKrankensalbung delegiert wer-den. Wenn Frauen die Leitung derPfarrei der Zukunft wahrnehmen,ist dies ein Schritt in Richtungmehr Gleichberechtigung. Die Di-özesen Osnabrück und Münchenübertragen bereits jetzt in einzel-nen Fällen die Leitung von Pfar-reien an Laien. Der  zweite  Vorschlag:  Die  vomBischof  eingesetzten  Leitungsper-sonen  sollten  von  dem  jeweiligenRat  der  Pfarrei  bestätigt  werden.Überall  da,  wo  in  der  Vergangen-heit  Bischöfe,  Pfarrer  und  anderehauptamtliche    Seelsorger/innengegen  den  Willen  der  Gläubigenmit  Macht  durchgesetzt  wurden,trug dies zu Spaltungen in der Kir-che  bei.  Die  Bestätigung  des  Lei-tungsteams  durch  den  Rat  derPfarrei  beugt  dieser  Gefahr  vonSpaltungen in der Kirche vor. Wenn die Pfarreien der Zukunftauch von Laien, Männern wieFrauen, geleitet werden könnenund wenn die vom Bischof einge-setzten Leitungen einer Pfarreivom Rat der Pfarrei bestätigt wer-den müssen, wird die Zwei-Klas-sen-Trennung in Kleriker und Lai-en ein Stück weit überwundenund wir gehen damit einen deutli-chen Schritt in Richtung einer sy-nodalen Kirche.  Unser Autor Dr. Josef Freise war biszu seinem Eintritt in den Ruhe-stand 2017 Professor für Sozialwe-sen an der Katholischen Hoch-schule Nordrhein-Westfalen inKöln. Der Theologe engagiert sichehrenamtlich in der Kirche vonNeuwied.Gedanken    zur    Synodenumsetzung:Dr. Josef Freise.Foto: Bruno SonnenIm Alter von 91 Jahren istder langjährige Trierer Diözesankonservator undKustos („Hüter“) desDomschatzes, ProfessorDDr. Franz Ronig, am 21.Mai in Trier gestorben(vgl. „Paulinus“ vom 26.Mai, Seite 1).Dompropst  Prälat  Werner  Rösselwürdigte  den  emeritierten  Dom-kapitular  als  Menschen,  der  essich  zur  Lebensaufgabe  gemachthabe,  „das,  was  Menschen  in  reli-giöser  Architektur  und  Kunst  ge-schaffen  haben,  zu  erhalten“.  Rös-sel  erwähnte  in  diesem  Zusam-menhang  besonders  die  Renovie-rung  des  Hohen  Domes  zu  Trier,an  der  Ronig  ab  1966  maßgeblichbeteiligt war. „Ihm ging es darum,Freude an den Formen und Farbenweiterzugeben als lebendige Spra-che“, sagte Rössel. „Als Zeugen derFrohen  Botschaft  wollte  er  die‚Stummheit‘  der  Objekte  auflösenund  sie  in  den  Dienst  der  Vereh-rung Gottes stellen.“Ronig  wurde  am  11.  September1927 in Troisdorf geboren. Der da-malige  Trierer  Bischof  Dr.  Matthi-as  Wehr  weihte  ihn  am  3.  April1954  in  Trier  zum  Priester.  Ronigwar  als  Seelsorger  in  Saarbrückenund    Eppelborn    eingesetzt    undspäter als Lehrer tätig an der Mar-schall-Ney-Schule  in  Saarbrückenund  am  Gymnasium  der  Franzis-kanerinnen auf Nonnenwerth. Ab1963  studierte  er  in  Bonn;  zwi-schenzeitlich  war  er  Assistent  amKunsthistorischen    Institut    derUniversität Saarbrücken. Im Janu-ar  1966  wurde  er  zum  „Dr.  phil“promoviert.  Seit  diesem  Jahr  lehr-te  er  Geschichte  der  christlichenKunst  und  kirchliche  Denkmal-pflege  an  der  Theologischen  Fa-kultät  Trier;  später  war  er  auchHonorarprofessor    für    Kunstge-schichte  an  der  Universität  Saar-brücken.  1989  wurde  Ronig  zumHonorarprofessor an der Universi-tät  Trier  ernannt;  die  Theologi-sche  Fakultät  Trier  promovierteihn 1990 zum Ehrendoktor.Im  Jahr  1966  begann  auch  seinlangjähriger Dienst an den Kunst-,Bau-  und  Kultusobjekten  der  Tri-erer Kirche: Ronig wurde Bistums-konservator  und  Leiter  der  Abtei-lung  „Bau  und  Kunst“  im  Bischöf-lichen  Generalvikariat.  Ab  1971bekleidetet  er  auch  das  Amt  desLeiters  der  kirchlichen  Denkmal-pflege  und  wurde  zum  Kustos(„Hüter“) des Domschatzes. In die-sem Bereich übernahm er zahlrei-che  weitere  Ämter,  etwa  als  Mit-glied  im  Landesbeirat  für  Denk-malpflege und der Arbeitsgemein-schaft  Kirchlicher  Museen  undSchatzkammern. Bereits  1978  war  Ronig  zumPäpstlichen  Ehrenkaplan  („Mon-signore“)    ernannt    worden;    ab1994  war  er  Domkapitular  an  derHohen    Domkirche    Trier,    2005wurde  er  zum  Päpstlichen  Ehren-prälaten  ernannt.  Auch  im  weltli-chen  Bereich  wurden  Ronig  Eh-rungen  zuteil:  Er  war  Ehrenmit-glied der Historischen Sektion desluxemburgischen    Großherzogli-chen  Instituts,  Träger  des  polni-schen  „Ordre  du  Mérite  Cultural“,Träger  des  Ehrenbriefes  der  StadtTrier.  Im  Mai  2005  wurde  Ronigdas  Verdienstkreuz  am  Bande  desVerdienstordens  der  Bundesrepu-blik Deutschland verliehen.Das  Requiem,  dem  Bischof  Dr.Stephan    Ackermann    vorstand,fand  am  29.  Mai  im  Trierer  Domstatt; anschließend erfolgte die Bei-setzung auf dem Friedhof im Dom-kreuzgang. bipEr war Hüter des TriererDomschatzesNur auf den ersten Blick ein Idyll. Obstplantage in Kalabrien. Foto: imago imagesProfessor Gilles Reckinger in Saarbrü-cken. Foto: Hans Georg Schneider Im  Alter  von  91  Jahren  gestorben:Franz Ronig.Foto: Bistum Trier

Version vom 13. August 2020, 14:47 Uhr

Nummer 23 · 9. Juni 2019PAULINUS 5

== NÄHER BETRACHTET. Was kommt nach der Flucht? Der Luxemburger Ethnologe Gilles Reckinger hat in Saarbrücken vom Schicksal afrikanischer Flüchtlinge in Süditalien berichtet.

Von Hans Georg SchneiderVöllig erschöpft, oft unter Folieneingepackt, werden sie aus Schif-fen an Land geführt: Die Bildervon der Ankunft Geflüchteter inLampedusa sind um die ganzeWelt gegangen. Die Menschen ausAfrika sind traumatisiert, aber siehaben die lebensgefährlicheFlucht über das Mittelmeer über-lebt. Doch was ist dann? Was ist mitdem Traum von einem besserenLeben in Europa? Der Luxembur-ger Ethnologe Prof. Dr. Gilles Re-ckinger ist nach Lampedusa ge-gangen und den Flüchtlingen aufsFestland gefolgt. Viele, vor allemMänner, landen im Süditalien undwerden in den kalabrischen Oran-genplantagen ausgebeutet. Indem Buch „Bittere Orangen – Einneues Gesicht der Sklaverei inEuropa“ hat Reckinger sein For-schungsprojekt zusammenge-fasst. Am 16. Mai hat der in Inns-bruck und Luxemburg lebendeEthnologe in Saarbrücken in einerVeranstaltung der Aktion 3. WeltSaar vor rund 50 Interessiertenüber seine Erfahrungen berichtet.Hungerlöhne und miserable UnterkünfteSo gut wie niemand unter denFlüchtlingen, egal welchen Statussie offiziell haben, bekommt inItalien einen Arbeitsvertrag, be-richtete Reckinger. Die Menschenseien auf sich gestellt und daraufangewiesen, zu arbeiten. In Süd-italien landeten die Männer inden Orangenplantagen und müss-ten unter menschenunwürdigenBedingungen arbeiten. Arbeit ge-be es nur von November bis März.Jeden Tag werde von den Planta-genbesitzern entschieden, wer ar-beiten darf. „Die Arbeitgeber kön-nen sich bedienen wie im Super-markt“, illustrierte Reckinger sei-ne Beobachtungen am „Arbeits-strich“ von Rosarno, einer kleinenStadt in der italienischen Stiefel-spitze. Je 20 bis 30 Männer werdenin Bussen in die Plantagen ge-bracht. Dort müssen sie für 25Euro am Tag in Nässe und Kältearbeiten. Fünf Euro gehen für denBustransfer drauf. Und Arbeit gibtes vielleicht nur fünf bis zehn Malin der Saison. Mittellos und ohnePerspektive seien die Flüchtlingezunehmend in Kalabrien gefan-gen. Zu den Hungerlöhnen, dienicht zum Überleben reichten, kä-men „schreckliche Wohnverhält-nisse“ in Containern, Zelten undSlumhütten. Unrühmlich Rolle von Politik und MafiaDie Orangenhaine in Kalabrien,meist in Familienbesitz, warenverwildert. Erst mit der Ankunftder Flüchtlinge lohnte es sich wie-der, die Orangen zu pflücken undauf dem Weltmarkt zu verkaufen,berichtet Reckinger und verweistauf die mächtige Rolle der kalabri-schen Mafia. Trotz des Elends und der ganzunterschiedlichen Herkunft sinddie Flüchtlinge untereinander so-lidarisch, hat der Autor erfahren.In dem Slum, das er erlebt hat,hatten sich urbane Strukturenausgebildet. Es gab Suppenkü-chen, „Tante-Emma-Läden“, in de-nen man Lebensmittel billig undin kleinen Mengen kaufen konn-te, es gab eine Fahrradwerkstattund vieles mehr. Dann habe deritalienische Innenminister dieseZeltstadt abreißen lassen, damitdiese Strukturen zerstört und derMafia einen großen Dienst erwie-sen, indem die ausgebildeten For-men von Solidarität und Selbsthil-fe gleich mit zerstört wurden. Was kann man tun? Auf dieseFrage aus dem Publikum konnteauch Reckinger keine einfacheAntwort geben. Im Geschäft da-nach fragen, wo die Orangen her-kommen, und sich für die Lageder Plantagenarbeiter interessie-ren, wäre eine Sache. Eine andereMöglichkeit: Politikerinnen undPolitiker auf das Problem hinwei-sen und fragen, was sie machenwollen. Grundsätzlich gehe es darum,die europäische Agrarpolitik zuändern und sich für faire Land-wirtschaft weltweit einzusetzen. InfoWer sich weiter informieren will:Gilles Reckinger: „Bittere Orangen– Ein neues Gesicht der Sklavereiin Europa“, Peter Hammer Verlag,ISBN: 978-3-7795-0590-7, 232Seiten, 24 Euro. Oder bei der Akti-on 3.Welt Saar: www.a3wsaar.de.Bittere OrangenGastbeitragKirchliche Hierarchie, der synodale Weg und die Anhörung zum neuen BistumsgesetzGedanken zur Synodenumsetzung im Bistum Trier.Von Josef FreiseKardinal Reinhard Marx hat nachder Deutschen Bischofskonferenzin Lingen zu Fragen des Miss-brauchs den „Synodalen Weg derKirche in Deutschland“ angekün-digt. Dieser sei vor dem Hinter-grund der anhaltenden Krise derKirche von der Deutschen Bi-schofskonferenz beschlossen wor-den. Der synodale Weg ist als ge-meinsamer und offener Diskussi-onsprozess von Klerikern und Lai-en über die Zukunft der Kircheangelegt. In der Tat geht es um dieÜberwindung des Zwei-Klassen-Systems von Klerikern und Laien.Dieses Zwei-Klassen-System wur-de in der Vergangenheit häufigmit der hierarchischen Grund-struktur der katholischen Kirchebegründet. Kirchliche Hierarchiekann aber nicht für eine Zwei-Klassen-Struktur herhalten.Kirchliche Hierarchie darf nichtmachtpolitisch instrumentalisiertwerden; sie hat von ihrem Ur-sprung her eine spirituelle Aus-richtung. Hierarchie bedeutet dem Wort-sinn nach heiliger Ursprung, hei-lige Herrschaft und bezeichnet inder vom Zweiten Vatikanum er-läuterten Lehre von der Kirchedas neue Gottesvolk mit JesusChristus als seinem unsichtbarenHaupt. Jesus setzte die zwölf Apos-tel ein, die die Präsenz Jesu Christiin der Kirche verdeutlichen. Hie-rarchie zielt letztlich auf die sicht-bare Stellvertretung Jesu. Die Äm-ter des Priesters, des Bischofs unddes Diakons sind sakramentaleZeichen der Gegenwart JesuChristi. Die Weihe gilt als ein un-auslöschliches sakramentales Zei-chen. Dieses sakramentale Zei-chen kann verglichen werden mitder im vierten Gebot benanntenWürde, die ein Mensch als Vateroder Mutter hat. Wer Vater bzw.Mutter geworden ist, bleibt diesdas ganze Leben hindurch. Eben-so bleibt ein Mensch, der sich alsDiakon, Priester oder Bischof Gottgeweiht hat, sein Leben hindurchDiakon, Priester, Bischof. Die hie-rarchische Struktur der Kirchehat also eine geistliche Bedeu-tung. Der Priester gewährleistetals Diener der Einheit in der Eu-charistie die Gegenwart Christi.Problematisch wird der Bezug aufHierarchie im Kirchenrecht dann,wenn das Weiheamt für die Be-gründung menschlicher Aufga-ben und Funktionen herangezo-gen und machtpolitisch instru-mentalisiert wird. Schon der Kon-zilstheologe und KirchenrechtlerKarl Mörsdorf (1909–1989) ver-wies auf die notwendige Unter-scheidung von Weihe und Aufga-be. Die Weihe ist eine Form dergeistlichen Würde; sie kann nichtzeitlich begrenzt oder entzogenwerden. Die Aufgabe der Leitungeiner Gemeinde oder eines Bis-tums kann sehr wohl zeitlich undinhaltlich begrenzt werden. DerMachtmissbrauch in der Kirchehat in dieser Vermengung vonWeihe und Leitungsaufgabe einenUrsprung. Wenn beispielsweiseein Pfarrer glaubt, kraft seinesWeiheamtes in jedem Fall dieLetztentscheidung bei Finanzfra-gen oder Personalfragen in der Ge-meinde auch gegen Mehrheitsvo-ten zu haben, dann ist das einMissbrauch seines Weiheamtes.Dass die katholische Kirche nurBischöfe zu Kardinälen ernennt –das Kardinal sein ist kein Weihe-amt –, kann als Missachtung desVolkes Gottes und insbesondereder Frauen angesehen werden.Die Kirche hat noch einen langenWeg vor sich, alle innerkirchli-chen Strukturen des Machtmiss-brauchs zu identifizieren und zubeseitigen. Wenn Bischof Willmeraus Hildesheim davon sprach,dass der Machtmissbrauch in denGenen der Kirche zu finden sei,dann ist dies kritisiert und –viel-leicht sogar gewollt – missver-standen worden. Was er meinte,war, dass der Machtmissbrauchtief in der Struktur der Kirche –beispielsweise auch im Kanoni-schen Recht – verankert ist.Einige deutsche Diözesen ha-ben aus der Vermischung vonWeiheamt und Aufgabe die Kon-sequenz gezogen, nur diejenigenpriesterlichen Dienste allein demPriester vorzubehalten, die direktmit seiner Weihe in Verbindungstehen. Das sind der Vorsitz amTisch der Eucharistie sowie dieSpendung des Beichtsakramentsund der Krankensalbung. Alle an-deren seelsorglichen Tätigkeitenteilen sie sich auch angesichts desPriestermangels mit haupt- undehrenamtlichen Laien, die auf derBasis des Priestertums aller Gläu-bigen ebenfalls Anteil an den sa-kramentalen Diensten haben. Esgibt in der Diözese Trier Priester,die mit Blick auf die Pfarrei derZukunft die zukünftige Rolle von(nicht leitenden) Priestern vonder sakramentalen Begleitung herneu in den Blick genommen ha-ben. Das ist ein wirklich zukunfts-weisender Ansatz. Er ist theolo-gisch und spirituell begründet. Hier sollen zwei Vorschläge ge-macht werden, wie im Ersten Ge-setz zur Umsetzung der Ergebnis-se der Diözesansynode 2013 –2016 die Unterscheidung vonWeihe und Aufgabe konsequenterumgesetzt werden könnte. Dererste Vorschlag: Der Vorsitz desLeitungsteams einer Pfarrei derZukunft könnte auch an einenhauptamtlichen Laien delegiertwerden. Bei der Entwicklung derPriesterzahlen ist schon jetzt ab-sehbar, dass bald nicht mehr ge-nügend Priester für die Leitungder (Groß-)Pfarreien zur Verfü-gung stehen werden. Wenn wirdie hierarchische Struktur derKirche nicht machtpolitisch, son-dern spirituell deuten, können al-le Leitungsaufgaben außer Eucha-ristievorsitz, Bußsakrament undKrankensalbung delegiert wer-den. Wenn Frauen die Leitung derPfarrei der Zukunft wahrnehmen,ist dies ein Schritt in Richtungmehr Gleichberechtigung. Die Di-özesen Osnabrück und Münchenübertragen bereits jetzt in einzel-nen Fällen die Leitung von Pfar-reien an Laien. Der zweite Vorschlag: Die vomBischof eingesetzten Leitungsper-sonen sollten von dem jeweiligenRat der Pfarrei bestätigt werden.Überall da, wo in der Vergangen-heit Bischöfe, Pfarrer und anderehauptamtliche Seelsorger/innengegen den Willen der Gläubigenmit Macht durchgesetzt wurden,trug dies zu Spaltungen in der Kir-che bei. Die Bestätigung des Lei-tungsteams durch den Rat derPfarrei beugt dieser Gefahr vonSpaltungen in der Kirche vor. Wenn die Pfarreien der Zukunftauch von Laien, Männern wieFrauen, geleitet werden könnenund wenn die vom Bischof einge-setzten Leitungen einer Pfarreivom Rat der Pfarrei bestätigt wer-den müssen, wird die Zwei-Klas-sen-Trennung in Kleriker und Lai-en ein Stück weit überwundenund wir gehen damit einen deutli-chen Schritt in Richtung einer sy-nodalen Kirche. Unser Autor Dr. Josef Freise war biszu seinem Eintritt in den Ruhe-stand 2017 Professor für Sozialwe-sen an der Katholischen Hoch-schule Nordrhein-Westfalen inKöln. Der Theologe engagiert sichehrenamtlich in der Kirche vonNeuwied.Gedanken zur Synodenumsetzung:Dr. Josef Freise.Foto: Bruno SonnenIm Alter von 91 Jahren istder langjährige Trierer Diözesankonservator undKustos („Hüter“) desDomschatzes, ProfessorDDr. Franz Ronig, am 21.Mai in Trier gestorben(vgl. „Paulinus“ vom 26.Mai, Seite 1).Dompropst Prälat Werner Rösselwürdigte den emeritierten Dom-kapitular als Menschen, der essich zur Lebensaufgabe gemachthabe, „das, was Menschen in reli-giöser Architektur und Kunst ge-schaffen haben, zu erhalten“. Rös-sel erwähnte in diesem Zusam-menhang besonders die Renovie-rung des Hohen Domes zu Trier,an der Ronig ab 1966 maßgeblichbeteiligt war. „Ihm ging es darum,Freude an den Formen und Farbenweiterzugeben als lebendige Spra-che“, sagte Rössel. „Als Zeugen derFrohen Botschaft wollte er die‚Stummheit‘ der Objekte auflösenund sie in den Dienst der Vereh-rung Gottes stellen.“Ronig wurde am 11. September1927 in Troisdorf geboren. Der da-malige Trierer Bischof Dr. Matthi-as Wehr weihte ihn am 3. April1954 in Trier zum Priester. Ronigwar als Seelsorger in Saarbrückenund Eppelborn eingesetzt undspäter als Lehrer tätig an der Mar-schall-Ney-Schule in Saarbrückenund am Gymnasium der Franzis-kanerinnen auf Nonnenwerth. Ab1963 studierte er in Bonn; zwi-schenzeitlich war er Assistent amKunsthistorischen Institut derUniversität Saarbrücken. Im Janu-ar 1966 wurde er zum „Dr. phil“promoviert. Seit diesem Jahr lehr-te er Geschichte der christlichenKunst und kirchliche Denkmal-pflege an der Theologischen Fa-kultät Trier; später war er auchHonorarprofessor für Kunstge-schichte an der Universität Saar-brücken. 1989 wurde Ronig zumHonorarprofessor an der Universi-tät Trier ernannt; die Theologi-sche Fakultät Trier promovierteihn 1990 zum Ehrendoktor.Im Jahr 1966 begann auch seinlangjähriger Dienst an den Kunst-,Bau- und Kultusobjekten der Tri-erer Kirche: Ronig wurde Bistums-konservator und Leiter der Abtei-lung „Bau und Kunst“ im Bischöf-lichen Generalvikariat. Ab 1971bekleidetet er auch das Amt desLeiters der kirchlichen Denkmal-pflege und wurde zum Kustos(„Hüter“) des Domschatzes. In die-sem Bereich übernahm er zahlrei-che weitere Ämter, etwa als Mit-glied im Landesbeirat für Denk-malpflege und der Arbeitsgemein-schaft Kirchlicher Museen undSchatzkammern. Bereits 1978 war Ronig zumPäpstlichen Ehrenkaplan („Mon-signore“) ernannt worden; ab1994 war er Domkapitular an derHohen Domkirche Trier, 2005wurde er zum Päpstlichen Ehren-prälaten ernannt. Auch im weltli-chen Bereich wurden Ronig Eh-rungen zuteil: Er war Ehrenmit-glied der Historischen Sektion desluxemburgischen Großherzogli-chen Instituts, Träger des polni-schen „Ordre du Mérite Cultural“,Träger des Ehrenbriefes der StadtTrier. Im Mai 2005 wurde Ronigdas Verdienstkreuz am Bande desVerdienstordens der Bundesrepu-blik Deutschland verliehen.Das Requiem, dem Bischof Dr.Stephan Ackermann vorstand,fand am 29. Mai im Trierer Domstatt; anschließend erfolgte die Bei-setzung auf dem Friedhof im Dom-kreuzgang. bipEr war Hüter des TriererDomschatzesNur auf den ersten Blick ein Idyll. Obstplantage in Kalabrien. Foto: imago imagesProfessor Gilles Reckinger in Saarbrü-cken. Foto: Hans Georg Schneider Im Alter von 91 Jahren gestorben:Franz Ronig.Foto: Bistum Trier

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