Datei:2019-03-26 Merzig Frühlingsempfang Verrückte Welt, Rede Gertrud Selzer.pdf
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Frühlingsempfang, der Aktion 3.Welt Saar e.V. Dienstag - 26. März 2019 , 20 Uhr, Merzig, Fellenbergmühle
“Verrückte Welt – Milch billiger als Wasser. Perspektiven für eine Faire Landwirtschaft in Nord und Süd”
Gastredner: Erwin Schöpges – belgischer Milchbauer und Vorsitzender des European Milk Board (EMB) Einführung und Begrüßung durch Gertrud Selzer, Vorstandsmitglied der Aktion 3.Welt Saar e.V. Es gilt das gesprochene Wort.
Liebe Freunde und Freundinnen,
wir haben 2011 unser Agrarprojekt ERNA GOES FAIR – Für eine Faire
Landwirtschaft weltweit“ aus der Taufe gehoben. In dem Agrarprojekt
vernetzen wir Milchbauern, Naturschützer, 3.Welt Engagierte und – bundesweit
einzigartig – auch Gewerkschaften.
Selbstverständlich ist dies nicht immer konfliktfrei.
Mit ERNA goes fair stellen wir öffentlich die Frage
Woher kommt unser tägliches Brot?
Unsere Milch, unser Fleisch, Gemüse und Obst?
Und vor allem:
Wer produziert dies wie?
Und wie hätten wir es denn gerne?.
Seitdem wir seit 2011 mit ERNA goes fair unterwegs sind, sind wir immer
wieder massiver Kritik ausgesetzt. Uns wird gerne der Vorwurf gemacht, wir
würden werben für eine industrielle Landwirtschaft machen und uns dafür
einsetzen, dass Milchkühe das ganze Jahr in einer engen Box im Stall stehen
müssten. Außerdem würden wir nicht die biologische Landwirtschaft fördern.
Was sagen wir dazu?
Ja, unsere Kritiker und Kritikerinnen haben Recht: Die Aktion 3.Welt Saar
erfüllt nicht die ideologische Bio-Norm in der Agrardebatte.
Ja, wir arbeiten mit dem Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, dem BDM,
zusammen.
Ja, der BDM ist überwiegend ein konventionell wirtschaftender Verband
Ja, wir haben nichts gegen bio.
Ja, wir haben etwas gegen Bauern-BAshing
Ja, wir sind der Meinung, dass wir die Agrarwende zu einer nachhaltigeren
Landwirtschaft nur MIT Bauern und Bäuerinnen hinbekommen
Ja, wir sind der Meinung, dass Bauern-Bashing, das in manchen politisch ach
so korrekten NGO Kreisen praktiziert wird, „voll Scheiße“ ist.
Hinter all den vielen kleinen und großen Sticheleien, die wir uns im
Jahresverlauf einhandeln – nicht alle übrigens offen ausgesprochen – steckt
das Bedürfnis, sich eine heile Welt auf Talkshow-Niveau zu basteln: In dieser
Welt gibt es nur Gut und nur Böse. Dort ist kein Platz für Zwischentöne. Kein
Platz für konventionelle Bauern und Bäuerinnen, die in ihren Betrieben oft
schon viele Bioelemente drin haben.
Hinter diesem schwarz-weiß Bild, das gesellschaftlich weit verbreitet ist, steckt
auch eine Haltung, die darin besteht, Bauern und Bäuerinnen nicht als
eigenständige politische Akteure wahrzunehmen, sondern als Träger idyllischer
Vorstellungen von „Ackerbau und Viehzucht“. Ja, wir leben im Jahr 2019. Jeder
von uns hat ein Handy. Warum sollen wir dann Bauern nicht die IT-Technologie
zugestehen oder gar die Nase rümpfen über einen Melkroboter. Wenn ich
selbst diese Technik benutze, sollte ich dies auch anderen zugestehen.
Idyllisch sind auch manche NGO Vorstellungen, die uns glauben machen
wollen, man könne durch ein bisschen anderen Konsum die Welt verändern.
Nein, kann man nicht, denn eine bessere Welt ist nicht im Ladenregal käuflich.
Ein „bisschen anderer Konsum“ zum Beispiel Fairer Handel, ist dann eine
sinnvolle Sache, wenn man sich selbst und andere wie z.B. Bauern als
politischen Akteur ernst nimmt und auf der Grundlage handelt. Und genau auf
dieser Grundlage organisieren wir den Fairen Ostermarkt und in der
Adventszeit den Allerweltsbasar. Beides sind Premiumveranstaltungen, die
überregional ausstrahlen.
Besonders freut mich, dass das älteste Kind der Aktion 3.Welt Saar – der
Weltladen Losheim – in diesem Jahr enorm Fahrt aufgenommen hat: Eine
neue Ladengruppe, neue MitstreiterInnen. Unser nächstes Projekt ist der Faire
Ostermarkt am 14. April in Merzig.
Nein, wir haben als Aktion 3.Welt Saar die Wahrheit nicht gefunden.
Wir haben Fragen,
wir stellen diese
und schreiten dabei voran.
Und was hat die Aktion 3.Welt Saar noch vor in diesem Jahr? Ich greife nur vier Themen heraus:
1.Kompromisslos für gewerkschaftliche Rechte Gemeinsam mit der Gewerkschaft NGG – Nahrung-Genuß-Gaststätten – erarbeiten wir einen konsumkritischen Stadtrundgang. In unserem Fokus dabei: Wie gehen Geschäfte mit gewerkschaftlichen Rechten um? Mit einer anderen Veranstaltung benennen wir die „Moderne Arbeitssklaverei in Europa“. Dazu haben wir für den 16.Mai den Ethnologen Prof. Gilles Reckinger eingeladen. Er berichtet uns von Flüchtlingen, die auf süditalienischen Orangen-Plantagen „unsere“ gesunden Südfrüchte produzieren – bei recht ungesunden Arbeitsverhältnissen.
2. Kompromisslos für Bürgerrechte Da hat niemand etwas dagegen. Aber mal im Ernst: Sind hier auch alle für Bürgerrechte für Fußballfans? Dazu haben wir die Freiburger Rechtsanwältin Angela Furmaniak eingeladen für den 27.Juni nach Saarbrücken. Und weil Bürgerrechte auch für muslimische Frauen da sind, haben wir einen der profiliertesten Islamkenner eingeladen – Dr. Abdel Hakim Ourghi. Er wird noch in diesem Halbjahr unser Gast sein und sich mit dem schwierigen Thema „Islam + Schule“ beschäftigen.
3.Kompromisslos für eine Faire Landwirtschaft
Dazu habe ich schon einiges gesagt. In einem Projekt, das vom
Umweltministerium des Saarlandes gefördert wird, werden wir weitere
Bildunsbausteine dazu kreieren.
Und wer von Ihnen stets auf dem Laufenden sein möchte, welche
agrarpolitische Sau wir immer mal wieder durchs Dorf treiben, dem sei unsere
Gartenkolumne empfohlen: „Krauts & Rüben. Der letzte linke Kleingärtner“.
Sie entsteht im Rahmen von ERNA goes fair und erscheint seit 3 Jahren in der
Berliner Wochenzeitung „JUNGLE WORLD“ und seit letztem Jahr auch in der
Luxemburger Wochenzeitung WOXX. Wenn man so will, ist diese Kolumne
unser agrarpolitisches Tagebuch. Und enthält nichts als die reine Wahrheit.
4. Kompromisslos gegen die alten und neuen Judenhasser Bei Projekten zum Nationalsozialismus ist man sehr solidarisch mit Juden. Also mit den toten Juden. Das finden wir gut und richtig. Und erstellen deshalb gerade mit einer hochkarätig besetzen Redaktion in unserer Reihe „Gegen das Vergessen“ eine Broschüre zum Nationalsozialismus im Saar-Pfalz Kreis. Aber wir sind auch solidarisch zu den lebenden Juden und ihrem Staat. In der 2 Jahreshälfte organisieren wir die Veranstaltung „Israel ist an allem Schuld“ mit Esther Schapira vom Hessischen Rundfunk. Sie kennen sie als Kommentatorin der Tagesthemen. Soweit einige unserer Vorhaben in 2019. Genau deshalb, weil wir in keinem Arbeitsbereich dem Heile-Welt-Bedürfnis nachgeben und keine Schwarz-Weiß-Malterei betreiben, haben wir Erwin Schöpges eingeladen. Er ist Milchbauer im deutschsprachigen Teil Belgiens und ist der Vorsitzende des European Milk Board, dem größten Zusammenschluss der europäischen Milchbauern. Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter ist eine seiner Partnerorganisationen. Beruhigt und geradezu erleichtert war ich übrigens, als er uns in einem Vorgespräch zur heutigen Veranstaltung, den erlösenden Satz mitteilte: „Ich hasse Power Point Präsentationen.“ Das sehe ich auch so. Lebendige Menschen sollten diesen kommunikativen Stimmungstöter meiden. Man sollte seinem Publikum – und nicht seiner Leinwand – in die Augen schauen. Erwin Schöpges ist ein Freund klarer Worte und klarer Standpunkte. Deswegen ist er kein Freund der Brüsseler Agrarbürokraten. Was im Übrigen auf Gegenseitigkeit beruht. Als im September 2015 die Milchbauern in Brüssel vor der EU Kommission demonstrierten, sagte er, an den EU Agrarkommissar Hogan gerichtet, von der Bühne dies: „Lieber Herr Hogan – das hier ist kein Kindergeburtstag. Wir meinen es ernst. Es geht um Existenzen.“ Dieses „Es geht um Existenzen.“ ist das, was uns verbindet. Ja, auch der Aktion 3.Welt Saar geht es um Existenzen. Sonst hätten wir nicht seit 1982 durch gehalten und uns weiter entwickelt. Ja, es trifft uns, wenn Menschen verhungern, obwohl genügend Nahrungsmittel produziert werden. Ja, es trifft uns, wenn die Würde von Menschen missachtet wird – egal wo und egal durch wen. Auch dann geht es um Existenzen. Und man muss sich entscheiden, auf welcher Seite man steht. Erwin Schöpges – Du hast das Wort.
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