Datei:2018-08-20 woxx (1) Gartenglück & Urlaubsfreuden.pdf: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 30. September 2019, 02:47 Uhr

Der letzte linke Kleingärtner, Teil 1: Gartenglück & Urlaubsfreuden

Was den Hühnerstall mit Betrieb und Büro verbindet und warum ein Gemüsebeet nicht wie ein Exerzierplatz aussehen muss.

Dann geschah es doch: Zur Überraschung meiner Hühner machte ich mit der ganzen Familie Ferien. Meine Nachbarin erklärte sich bereit, das Federvieh zu füttern und es mit Wasser zu versorgen. Als Gegenleistung überließ ich ihr die zwei bis drei Eier, die meine vier Hühner täglich legen würden – theoretisch.

Die Nachbarin kümmerte sich vorbildlich um die Hühner. Es fehlte ihnen an nichts. Futter, Wasser und Auslauf gab es reichlich. Nur – sie legten ab dem ersten Tag meiner Abwesenheit keine Eier mehr. So, als würden sie streiken und dies mit der klaren Forderung nach meiner sofortigen Rückkehr verbinden. Wenn der Chef weg ist, wird gefressen, aber nicht gearbeitet. Ohne Chef legen wir keine Eier. Insgeheim fühlte ich mich natürlich geschmeichelt, wenn die Hühner so auf meine Präsenz bestehen. Wer mag es nicht, gebraucht zu werden? Und wirklich, seit ich aus dem Urlaub zurück bin, fingen sie wieder an, Eier zu legen. Zwar noch keine drei am Tag, aber immerhin ein bis zwei.

Es ist wie bei den anderen Zweibeinern. Nur wenn der Chef da ist oder zumindest sein baldiges Kommen glaubhaft machen kann, arbeitet das Fußvolk. Ansonsten schwirrt es im Internet herum, macht Kaffeepause und lässt die Verantwortung für das Leben, die Firma und die Erde auf den Schultern des Chefs ruhen. Sehr autoritätsorientiert, das ganze Gesindel. Ich hätte es wissen können. Trotz all dem Gefasel von flachen Hierarchien führt doch kein Weg daran vorbei, dass der Chef in patriarchaler Manier ab und an real durch die Bude streift, hier und da Lob und Belohnungen verteilt. Und schon sind alle wieder schwer motiviert, sich für ihren Betrieb voll einzusetzen. Warum sollte Team-Building bei Hühnern anders laufen?

Auch bei der Ordnung in meinem Gemüsegarten lerne ich ständig dazu. In den üblichen Gartenbüchern ist meist von schnurgeraden Pflanzreihen die Rede. Deshalb lese ich sie nur selten. Jeder Autor eines Gartenbuchs – das gilt ebenso für Autorinnen – hat seine Gartenphilosophie. Solche Bücher sind für Menschen geschrieben, die Zeit haben und sich über die Platzierung von Pflanzen und Samen stundenlang ihre Gedanken machen. Meins ist das nicht. Ich will Ertrag mit einem erträglichen Zeitaufwand. Überhaupt gleichen Gartenbücher nicht selten grafisch anspruchsvoll gestalteten Gebrauchsanweisungen. Von Schritt eins bis zu Schritt zwölf wird detailliert erklärt, was man tun muss, um Erfolg zu haben. Da bleibt wenig Raum für Vielfalt und Bastelei.

Das beste Gartenbuch, seit langem habe ich im Urlaub gelesen, gut getarnt in einem politikwissenschaftlich-kulturanthropologischen Einband und mit dem Titel „Applaus dem Anarchismus“ versehen. Geschrieben von James C. Scott, im Brotberuf Professor für die besagten Fächer an der US-Universität Yale, lädt das Buch zu einer anarchistischen Sicht auf die Welt ein.

Ordnung muss sein – 
nur welche?

Scott widmet sich weniger der großen Politik, im Mittelpunkt stehen vielmehr die kleinen alltäglichen Geschichten. In denen sieht er nämlich, in Anlehnung an den italienischen Kommunisten Antonio Gramsci, die großen politischen Linien verborgen. So tauchen mitten in der kulturanthropologischen Abhandlung plötzlich vier Seiten über das Ordnungssystem von Bauerngärten in Mittelamerika auf. Die entziehen sich „unserer“ Vorstellung von Ordnung im Garten und auf den Feldern, denn die ist doch stark von gerader Linie und rechtem Winkel geprägt.

Die Pflanzen stehen in Reih und Glied, dem Bauern wie dem Kleingärtner obliegt zur Ernte nur die Abnahme dieser militärisch anmutenden Pflanzenparade. Entsprechend findet vorher auch eine Zurichtung des eigenen Denkens statt. Die brachte effizienzorientiert auch eine Reduzierung lokaler Vielfalt mit sich, was die Ernährung der Menschen in ihrer Gesamtheit nicht sicherer gemacht hat. Dennoch bleibt für viele diese Form wissenschaftlich unterfütterter Ordnung mit geraden Reihen und einer Frucht pro Feld das Idealbild von Landwirtschaft und Gartenbau.

Es kam, wie es kommen musste. Irgendwann fand ein im westlichen Wissenschaftsbetrieb ausgebildeter Botaniker heraus, dass auch dem unordentlich anmutenden Garten, noch dazu in einer Steillage gelegen, ein durchdachtes Ordnungssystem zugrunde lag. Na also, Ordnung meint immer nur je ein bestimmtes System. Das hatten auch schon die Verfasser des UN-Weltagrarberichts von 2008 herausgefunden.

Eine kleinräumige und an Vielfalt orientierte Landwirtschaft kann die Menschheit ernähren – und weniger die Vereinheitlichung von Saatgut, Pflanzen und Feldern. Eine solche mit wissenschaftlichem Gedöns daherkommende Normierung mag für einen schmalen Korridor passen, in dem bei Wetter, Sonne, Regen und Boden keine großen Abweichungen zu befürchten sind, und so den besten Ertrag ergeben. Aber letztlich ernährt Vielfalt die Welt – theoretisch. James C. Scott – Applaus dem Anarchismus. Aus dem Englischen von 
Werner Petermann. Edition Trickster im Peter Hammer Verlag, 172 Seiten.

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