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Aktuelle Version vom 21. Mai 2020, 14:18 Uhr

Krauts und Rüben – der letzte linke Kleingärtner, Teil 31

Der letzte linke Kleingärtner freut sich auf seinen Apfelwein

Eldorado für Rauschmittel

An Weihnachten kommt der Kleingärtner ins Spiel. Wie das? Es ist die Zeit der Sentimentalität, die sich in den nächsten Tagen im Höllentempo steigert und an Heiligabend ihren Höhepunkt findet. Da kommen die selbstgemachten Geschenke auf den Gabentisch, die selbstverständlich viel mehr Gefühl transportieren als die langweilige Industrieware. Und wer kann garantiert Selbstgemachtes liefern, voller Emotionen – und Vitamine? Richtig, der Kleingärtner. Also ich. Selbsteingekochte Marmelade aus den Früchten des Gartens in putzigen kleinen Gläsern geht immer und ist zuckersüß. Hauptsache, die Gefühle wechseln den Besitzer in dieser doppelt kalten Zeit mit ihren massenhaft hergestellten, immer gleichen Industrieprodukten. Das brachte bereits der Philosph Walter Benjamin auf den Punkt, als er vom »Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« sprach.

Wenn wir schon bei Selbstgemachtem sind: In allen Regionen der Welt nehmen Menschen ihr Recht auf Rausch in Anspruch. Damals wie heute organisieren sie sich den dafür nötigen Stoff – oder produzieren ihn selbst. Da möchte ich als Kleingärtner nicht hintan stehen. Die Apfelernte im Herbst lässt sich fünffach verwenden: Erstens, die Äpfel einlagern, um sie später zu essen, was kühle und trockene Räume voraussetzt. Zweitens, die Äpfel in Scheiben schneiden und trocknen, was es einem erspart, das gleiche Produkt nachher sündhaft teuer in der Feinkostabteilung zu kaufen. Drittens, die Äpfel schälen und zu Apfelmus einkochen. Viertens, die Äpfel beim Kelterer des Vertrauens zu Apfelsaft pressen, diesen an Ort und Stelle pasteurisieren und in Flaschen oder Beutel abfüllen lassen, was sich übrigens auch gut als (mehr oder weniger) selbst­gemachtes Geschenk eignet. Fünftens schließlich: Apfelwein daraus machen, in manchen Regionen auch Viez genannt. Man kocht den frischen Apfelsaft in dem Fall nicht ab, sondern lässt ihn sechs bis acht Wochen in einem Fass unter Luftausschluss gären.

Wem es bei der Apfelernte nur um das Wahrnehmen des Rechts auf Rausch geht, der kann aus Gründen der Tarnung einige der ­anderen vier Varianten zusätzlich praktizieren. Das schafft ein gutes Gewissen im häuslichen wie auch sonstigen sozialen Miteinander und am Ende hat man doch das, was man will.

Natürlich kann man Viez – der Hesse versteht dieses Wort nicht und redet von Äbbelwoi – auch käuflich erwerben. Aber was ist schon Industrieware gegen Selbstgemachtes? Da fehlen die Emotionen, gell? Der kleingärtnerische Bereich ist ein Eldorado für Rauschmittel. Überall, wo Menschen leben, werden Rauschmittel angebaut. Der eine kaut Kokablätter, der andere trinkt Vergorenes oder Gebranntes – Apfelwein, Schnaps, oder weiß der Kuckuck, was man sonst noch anbauen und zu Rauschmitteln verarbeiten kann. Okay, der Kuckuck weiß es nicht, aber ich als Kleingärtner weiß, dass im Eigenanbau von Rohstoffen des Rausches noch viel Luft nach oben ist. Ein freundschaftliches Verhältnis zu den Nachbarn ist dabei von Vorteil.

Wie es ein Recht auf Nahrung, ein Recht auf Stadt, ein Recht auf Faulheit gibt, so gibt es ein Recht auf Rausch. Jenseits dieser philo­sophischen Festlegungen, die Menschen mal so oder so treffen, wird das letztgenannte Recht seit Jahrhunderten in Anspruch genommen. Die ganzen Debatten über Prohibition, über Steuern auf Branntweinerzeugnisse oder die rechtliche Behandlung von Cannabis zeugen davon. Drogen haben immer schon zum Alltag von Menschen gehört. Alle Festlegungen, die sie betreffen, sind ebenso wie staatliche Grenzen von Menschenhand gemacht und damit veränderbar. Eigentlich wollte ich mich dazu gar nicht äußern. Aber als Kleingärtner kommt man immer wieder auf die zentralen ­Lebensfragen zurück. Und weil das Recht auf Rausch in allen Gesellschaftsschichten gilt, taugt der Aufruf »Brot statt Böller« zum Jahresende nicht viel.

Diejenigen, die hier den moralischen Zeigefinger erheben, haben kein Problem, wenn die Besserbetuchten zum Abschluss von Klassik-Open-Air-Konzerten ein zünftiges Feuerwerk steigen lassen. Nur wenn Hinz und Kunz Feuerwerkskörper zünden, geht der Finger nach oben.

Wenn diese Kolumne erscheint, werde ich bereits meinen ersten Viez der neuen Saison gekostet haben. Vielleicht wird sie dann zum Rauschtagebuch des Kleingärtners.

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