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Aktuelle Version vom 21. Mai 2020, 14:18 Uhr

Krauts und Rüben – der letzte linke Kleingärtner, Teil 16

Mythos Berlin

Fußballfans und Kleingärtner haben zwei Gemeinsamkeiten. Erstens starten beide nach der Winterpause durch, also jetzt. Für uns Fußballfans beginnt die zweite Saisonhälfte, die über Auf- und Abstieg sowie die Meisterschaft entscheidet. Und als Kleingärtner beginne ich um diese Zeit mit dem Vorziehen von Salatpflanzen auf der heimischen Fensterbank. Die kleinen Pflanzen kommen ab März nach den ersten wärmeren Frühlingstagen in den Garten. Ab Mitte April kann man dann je nach Wetter und Lage des Gartens mit der Ernte beginnen – und jetzt schon mal schön davon träumen.

Und zweitens träumen beide traditionell von Berlin. Wie das? Als Fußballfan träumt man beim DFB-Pokal davon, nach Berlin zu fahren. Zum Endspiel halt. »Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin«, wird tausendfach in jeder Pokalrunde gesungen; meist von Fans unterklassiger Vereine – die haben es halt am nötigsten. Und als Kleingärtner oder als agrarpolitisch engagierter Mensch fährt man Mitte Januar zur Grünen Woche nach Berlin, einschließlich Teilnahme an der Demonstration »Wir haben es satt«. Beides habe ich gemacht. Es demonstrierten deutlich weniger Teilnehmer als in den vergangenen beiden Jahren, aber immer noch recht viele. Die Polizei sprach von 10 000, die Veranstalterinnen, also auch die ­Aktion 3. Welt Saar, hatten eher 18 000 Demonstranten gezählt. Einigen wir uns in der Mitte, dann wäre die Erbsenzählerei erledigt.

In den Redebeiträgen wurde viel Richtiges gesagt, der Ton schwankte zwischen nett und engagiert. Allerdings ging es inhaltlich und organisatorisch recht monoton zu. Das widerspricht der für den Acker geforderten Vielfalt, aber was soll’s. Neben wichtigen Themen wie dem Zugriff von Bauern auf Land und Saatgut ging es häufig um die Macht des Verbrauchers. Ich weiß nicht, was Leute aus NGOs, die sich meist nicht mit Ökonomie beschäftigen, daran so toll finden und warum diese Nummer mit allerhand Pathos als Rede herausgehauen werden muss. Schließlich ist eine bessere Welt nicht käuflich, sie wird entweder erstritten oder es gibt sie nicht. Vielleicht liegt die Faszination für die herbeigeredete Verbraucherdemokratie daran, dass damit alles einfach wird. Im Fußball wie im Garten gilt dagegen die Regel: Willst du Ertrag haben, musst du dahin gehen, wo es weh tut.

Einen richtigen Schwank gibt es aber noch von dem Wochenende in der Hauptstadt zu erzählen: Ich hatte selbst nicht so richtig daran geglaubt, dass die MLPD bei der Agrardemo aufläuft. Ich hielt meine Ankündigung in der vorigen Ausgabe dieser Kolumne für reichlich verwegen. Aber es geschah wirklich: Die Marxisten-Leninisten waren da. Während sie es bei der Demonstration beim bloßen Mitgehen beließen und die Teilnehmer nicht sonderlich intensiv bespaßten, packten sie beim Milchsymposium des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter mit knapp 1 000 Besuchern den großen revolutionären Fahrplan aus. Während vor dem Messegebäude ein eher unscheinbar wirkender Infostand platziert wurde, gab es drinnen dann das richtungsweisende Flugblatt mit der MLPD-Neuheit der Woche: Sie haben die Bauern entdeckt und geben ihnen einen gebührenden Platz auf ihrer »Internationalistischen Liste«. Für die sie sich wiederum ganz uneigennützig als Mutterpartei zur Verfügung stellt. Ist das jetzt die neue Variante der ausgelutschten Metropolen-Comedy? Wer soll darüber lachen? Nein, ich glaube, die meinen es ernst. Eine Stadt wie Berlin hat viel Seltsames zu ­bieten. Gut, dass ich wieder weg bin. Die Landwirte präsentierten sich jedenfalls als vernunftgeleitete Kostverächter und gingen nicht weiter auf das revolutionäre Angebot ein.

Nur die Zugfahrt nach Berlin war ein Genuss ohnegleichen. Wir fuhren mit einem Bauern und einer Bäuerin. Ich traute meinen ­Augen nicht. Der Bauer packte wenige Minuten nach der Abfahrt ein rundes Etwas auf den Abteiltisch. Meine Augen müssen sich arg gedreht und mein Gesichtsausdruck muss arg schräg gewesen sein. Ein Ringel Lyoner und das Messer gleich dazu und dann noch eine Stange Wildschweinsalami. Er entschuldigte sich damit, dass er dies immer bei Ausflügen so mache. Ich sagte nur: »Wie cool ist das denn. Das ist absolut stehplatztauglich.« Bei Auswärtsfahrten mit meinen Fußballkumpels bringe ich ein, zwei, drei Ringel dieser Fleischwurst mit. Und dann rollt der Zug oder später der Ball und alles wird gut.

Zurück in den Hühnerstall. Der öffentliche Anschiss in der letzten Ausgabe dieser Kolumne hat Wirkung gezeigt. Hatten es bisher alle Hühner verweigert, ihre Eier in das dafür vorgesehene Nest zu legen, stehen jetzt zwei der fünf stramm und machen es so, wie es sich gehört. Sie legen die Eier seitdem nicht mehr auf den kalten Stallboden. So ist das in Deutschland: Ohne Anschiss und öffentliches Zurechtstutzen gibt es keine Besserung. Das ist bei Mensch und Tier gleichermaßen so. Was genau genommen wieder ein Argument für die Gleichstellung von Tieren mit Menschen ist. Auweia – heißes Thema! Heute nicht. Ich klaue den Hühnern lieber weiter die Eier. Die schmecken gut.

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