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Krauts und Rüben – der letzte linke Kleingärtner, Teil 13
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== Wie cool ist das denn? ==
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Die Bohnenstangenstory aus der letzten Ausgabe dieser Kolumne ist in der Realität angekommen und entwickelt sich weiter. Wie meine Informanten und Kleingärtnerfreunde aus der Republik erzählen, sollen schon erste Bohnenstangen aus Kleingärtnerbeständen auf aussichtsreiche Listenplätze von Grünen, SPD, Linkspartei, CDU und CSU gesetzt worden sein. Bei der AfD sowieso. Aber dummerweise nicht flächendeckend. Es wird also Zeit, dass sich unsere Vereinigte Kleingärtnerpartei endlich gründet und ich Vorsitzender werde. Wir Kleingärtner müssen republikweit konzertiert vorgehen und unsere Kräfte bündeln. Jedenfalls ist das mein Plan. Keine Bohnenstange müsste den Winter über draußen frieren, jede hätte stattdessen ein parlamentarisches Auskommen, eine warme Stube. Und wir Kleingärtner würden als Vermieter der Bohnenstangen ordentlich Tantiemen kassieren. So müssen wir es machen.
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Unbedarfte Stadtbewohner, die zu Landwirtschaft und Gemüsegarten nur über die Tiefkühltruhe im Supermarkt Kontakt haben oder via Besuch mit den Kindern auf einem Biohof mit Hofladen, mögen meinen, dass der Gemüsegarten um diese winterliche Zeit ruht und der Acker teilnahmslos vor sich hin lümmelt. Immerhin, das Schöne daran ist, dass die Metropolenbewohner eine Meinung haben und es irgendwie auch gut meinen. Aber nein, der Garten ruht nicht. Diese Ruhe ist nur eine vermeintliche. Hinter der ruhigen Fassade geht das Kleingärtnerleben weiter. Auch wenn die Pflanzen draußen gerade nicht wachsen, bieten sie sich zur Ernte an. Grünkohl ist die im doppelten Sinne des Wortes coolste Pflanze im Garten: Sie hält Kälte bis zu zweistelligen Minusgraden aus und kann jederzeit im Winter geerntet werden. Zur Not mit einem starken Messer oder einem kleinen Beil. Die Lagerhaltung findet im Garten statt. Jederzeit frisches Gemüse. Wie cool ist das denn? Zu viel davon kann man eigentlich nicht anpflanzen, da die Pflanze problemlos bis Anfang März geerntet werden kann.
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Neben Grünkohl habe ich zurzeit noch zwei Sorten Endiviensalat und Rucola im Angebot. Endivien sind zwar nicht so kälteresistent wie Grünkohl, aber ein paar Grad unter null lassen sie nicht schlapp machen. Und wenn ich ab drei Grad minus noch Säcke und Tücher auf die Beete lege, bleibt auch der Salat frisch und erntbar. Wenn ich zu welcher Tageszeit auch immer Lust auf frischen Salat bekomme, gehe ich in meinen Garten und nehme mir, was ich brauche. Das spart die Fahrt zur Tankstelle. Es gäbe noch die Möglichkeit, Zuckerhut anzupflanzen. Dieser Salat hält noch ein paar Minusgrade mehr aus als Endivien. Aber dummerweise schmeckt ein Zuckerhutsalat entgegen dem wohlklingenden Namen richtig bitter. Ich mag ihn nicht. Und was der Kleingärtner nicht mag, kommt nicht ins Beet. Ende der Diskussion.
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Neben den Pflanzen, die derzeit erntbar sind, gibt es noch ein Schlüsselwort: der Plan. Logisch, denn in wenigen Wochen geht es mit der Aussaat weiter. Das braucht präzise Planung. Jeder normale Kleingärtner arbeitet mit einer Gartenliste, in die er fein säuberlich einträgt, was er wo und in welcher Menge gesät und gepflanzt hat. Warum? Damit er im nächsten und übernächsten Jahr seine Beete klug einteilen kann. Jede Pflanze entzieht dem Boden unterschiedliche Nährstoffe, lockt unterschiedliches Kleintier an und stößt anderes ab. Ohne hier in esoterisches Yin-Yang-Gequatsche zu verfallen: Ein über die Jahre erreichtes Gleichgewicht im Garten hinsichtlich des Nährstoffbedarfs ist die Grundlage für eine üppige Ernte. Hier prallen zwei Prinzipien aufeinander, die das Kleingärtnerleben erschweren: Zum einen das Ordnungsprinzip als solches, zum anderen die jährliche Veränderung bei der Kultivierung im Garten. Das bleibt aber unter uns. Nicht jeder Kleingärtner kommt mit diesem ständigen ordnungsgemäßen Wandel klar. Trotzdem ist die Planwirtschaft im Realsozialismus und anderswo nicht an uns gescheitert. Wir waren nicht nur mental gerüstet. Wir praktizieren dieses Ordnungsprinzip Jahr für Jahr. Und wir stehen auch Gewehr bei Fuß, wenn es wieder versucht wird.
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Ach ja, die fünf Hühner: Die sind auch noch da. Sie ruhen nicht, sondern scharren vor sich hin. Sie legen trotz der geringen Temperatur nur ein paar Eier weniger. Was haben die Tiere vergangene Woche gegackert und gegluckst, als ich ihnen die deutsche Ausgabe von Charlie Hebdo gezeigt habe mit den lustigen Zeichnungen, auf denen Angela Merkel, VW, Fidel Castro, François Fillon und Franck Ribéry karikiert werden. Vor Begeisterung plumpsten an dem Tag gleich drei Eier ins Nest. Ärgerlich ist, dass das Wasser für die Hühner fast täglich einfriert. Das ist theoretisch zwar leicht zu erklären. Aber praktisch bleibt die Arbeit an mir hängen, und ich muss ihnen täglich mindestens einmal frisches Wasser geben. Einer muss sich schließlich um die Ernährung der Menschheit kümmern. Drunter macht es ein Kleingärtner nicht.
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[[Kategorie:2016]]
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[[Kategorie:Agrar / Ernährung]]
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[[Kategorie:Aktion 3.Welt Saar e.V.]]
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[[Kategorie:ERNA-Agrarkolumne Krauts und Rüben]]
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[[Kategorie:Landwirtschaft]]
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[[Kategorie:Roland Röder]]

Aktuelle Version vom 21. Mai 2020, 14:18 Uhr

Krauts und Rüben – der letzte linke Kleingärtner, Teil 13

Wie cool ist das denn?

Die Bohnenstangenstory aus der letzten Ausgabe dieser Kolumne ist in der Realität angekommen und entwickelt sich weiter. Wie meine Informanten und Kleingärtnerfreunde aus der Republik erzählen, sollen schon erste Bohnenstangen aus Kleingärtnerbeständen auf aussichtsreiche Listenplätze von Grünen, SPD, Linkspartei, CDU und CSU gesetzt worden sein. Bei der AfD sowieso. Aber dummerweise nicht flächendeckend. Es wird also Zeit, dass sich unsere Vereinigte Kleingärtnerpartei endlich gründet und ich Vorsitzender werde. Wir Kleingärtner müssen republikweit konzertiert vorgehen und unsere Kräfte bündeln. Jedenfalls ist das mein Plan. Keine Bohnenstange müsste den Winter über draußen frieren, jede hätte stattdessen ein parlamentarisches Auskommen, eine warme Stube. Und wir Kleingärtner würden als Vermieter der Bohnenstangen ordentlich Tantiemen kassieren. So müssen wir es machen.

Unbedarfte Stadtbewohner, die zu Landwirtschaft und Gemüsegarten nur über die Tiefkühltruhe im Supermarkt Kontakt haben oder via Besuch mit den Kindern auf einem Biohof mit Hofladen, mögen meinen, dass der Gemüsegarten um diese winterliche Zeit ruht und der Acker teilnahmslos vor sich hin lümmelt. Immerhin, das Schöne daran ist, dass die Metropolenbewohner eine Meinung haben und es irgendwie auch gut meinen. Aber nein, der Garten ruht nicht. Diese Ruhe ist nur eine vermeintliche. Hinter der ruhigen Fassade geht das Kleingärtnerleben weiter. Auch wenn die Pflanzen draußen gerade nicht wachsen, bieten sie sich zur Ernte an. Grünkohl ist die im doppelten Sinne des Wortes coolste Pflanze im Garten: Sie hält Kälte bis zu zweistelligen Minusgraden aus und kann jederzeit im Winter geerntet werden. Zur Not mit einem starken Messer oder einem kleinen Beil. Die Lagerhaltung findet im Garten statt. Jederzeit frisches Gemüse. Wie cool ist das denn? Zu viel davon kann man eigentlich nicht anpflanzen, da die Pflanze problemlos bis Anfang März geerntet werden kann.

Neben Grünkohl habe ich zurzeit noch zwei Sorten Endiviensalat und Rucola im Angebot. Endivien sind zwar nicht so kälteresistent wie Grünkohl, aber ein paar Grad unter null lassen sie nicht schlapp machen. Und wenn ich ab drei Grad minus noch Säcke und Tücher auf die Beete lege, bleibt auch der Salat frisch und erntbar. Wenn ich zu welcher Tageszeit auch immer Lust auf frischen Salat bekomme, gehe ich in meinen Garten und nehme mir, was ich brauche. Das spart die Fahrt zur Tankstelle. Es gäbe noch die Möglichkeit, Zuckerhut anzupflanzen. Dieser Salat hält noch ein paar Minusgrade mehr aus als Endivien. Aber dummerweise schmeckt ein Zuckerhutsalat entgegen dem wohlklingenden Namen richtig bitter. Ich mag ihn nicht. Und was der Kleingärtner nicht mag, kommt nicht ins Beet. Ende der Diskussion.

Neben den Pflanzen, die derzeit erntbar sind, gibt es noch ein Schlüsselwort: der Plan. Logisch, denn in wenigen Wochen geht es mit der Aussaat weiter. Das braucht präzise Planung. Jeder normale Kleingärtner arbeitet mit einer Gartenliste, in die er fein säuberlich einträgt, was er wo und in welcher Menge gesät und gepflanzt hat. Warum? Damit er im nächsten und übernächsten Jahr seine Beete klug einteilen kann. Jede Pflanze entzieht dem Boden unterschiedliche Nährstoffe, lockt unterschiedliches Kleintier an und stößt anderes ab. Ohne hier in esoterisches Yin-Yang-Gequatsche zu verfallen: Ein über die Jahre erreichtes Gleichgewicht im Garten hinsichtlich des Nährstoffbedarfs ist die Grundlage für eine üppige Ernte. Hier prallen zwei Prinzipien aufeinander, die das Kleingärtnerleben erschweren: Zum einen das Ordnungsprinzip als solches, zum anderen die jährliche Veränderung bei der Kultivierung im Garten. Das bleibt aber unter uns. Nicht jeder Kleingärtner kommt mit diesem ständigen ordnungsgemäßen Wandel klar. Trotzdem ist die Planwirtschaft im Realsozialismus und anderswo nicht an uns gescheitert. Wir waren nicht nur mental gerüstet. Wir praktizieren dieses Ordnungsprinzip Jahr für Jahr. Und wir stehen auch Gewehr bei Fuß, wenn es wieder versucht wird.

Ach ja, die fünf Hühner: Die sind auch noch da. Sie ruhen nicht, sondern scharren vor sich hin. Sie legen trotz der geringen Temperatur nur ein paar Eier weniger. Was haben die Tiere vergangene Woche gegackert und gegluckst, als ich ihnen die deutsche Ausgabe von Charlie Hebdo gezeigt habe mit den lustigen Zeichnungen, auf denen Angela Merkel, VW, Fidel Castro, François Fillon und Franck Ribéry karikiert werden. Vor Begeisterung plumpsten an dem Tag gleich drei Eier ins Nest. Ärgerlich ist, dass das Wasser für die Hühner fast täglich einfriert. Das ist theoretisch zwar leicht zu erklären. Aber praktisch bleibt die Arbeit an mir hängen, und ich muss ihnen täglich mindestens einmal frisches Wasser geben. Einer muss sich schließlich um die Ernährung der Menschheit kümmern. Drunter macht es ein Kleingärtner nicht.

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