Datei:2016-08-11 jungle world (8) Autoritäre Hühner.pdf: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 21. Mai 2020, 14:18 Uhr

Krauts und Rüben – der letzte linke Kleingärtner, Teil 8

Autoritäre Hühner

Dann geschah es doch. Ich fuhr in den Urlaub und die Hühner legten keine Eier mehr. Zur Überraschung der Tiere machte ich mit der ganzen Familie Ferien. Meine Nachbarin erklärte sich bereit, das Federvieh zu füttern und es mit Wasser zu versorgen. Als Gegenleistung versprach ich ihr die insgesamt drei Eier, die die Hühner täglich legten.

Die Nachbarin kümmerte sich vorbildlich um die Hühner. Es fehlte ihnen an nichts. Futter, Wasser und Auslauf gab es reichlich. Nur – sie legten ab dem ersten Tag keine Eier mehr. So, als würden sie streiken und dies mit der klaren Forderung nach meiner sofortigen Rückkehr verbinden. Wenn der Chef weg ist, wird gefressen, aber nicht gearbeitet. Ohne Chef legen wir keine Eier. Insgeheim fühle ich mich natürlich geschmeichelt, wenn die Hühner darauf bestehen. Wer mag es nicht, gebraucht zu werden? Und wirklich, seit ich aus dem Urlaub zurück bin, fingen sie wieder, an Eier zu legen. Zwar noch keine drei am Tag, aber ein bis zwei. Es ist wie bei den anderen Zweibeinern. Nur wenn der Chef da ist oder zumindest sein baldiges Kommen glaubhaft machen kann, ­arbeitet das Fußvolk. Ansonsten schwirrt es im Internet herum und lässt die Verantwortung für das Leben, die Firma und die Erde von den Schultern des Chefs tragen. Sehr autoritätshörig, das ganze Gesindel. Es sind ja schließlich auch deutsche Hühner. Ich hätte es wissen können. Bei allem Gefasel von flachen Hierarchien, es führt doch kein Weg daran vorbei, dass der Chef in patriarchaler Gönnermanier ab und an real und nicht virtuell durch den Betrieb geht, nach allen Seiten ein paar Bonbons und sonstiges Lob verteilt. Und flugs sind alle schwer motiviert, sich für ihren Betrieb voll einzusetzen. Warum sollte Teambuilding bei Hühnern anders laufen?

Auch bei der Ordnung in meinem Gemüsegarten lerne ich ständig dazu. In den üblichen Gartenbüchern ist meist von geraden Pflanzreihen die Rede. Deshalb lese ich sie nur selten. Jeder Autor eines Gartenbuchs – das gilt ebenso für Autorinnen – hat seine Garten­philosophie. Sie sind für Menschen geschrieben, die Zeit haben und sich über die Platzierung von Pflanzen und Samen stundenlang ihre Gedanken machen. Meins ist das nicht. Ich will Ertrag mit einem erträglichen Zeitaufwand. Überhaupt gleichen Gartenbücher nicht selten grafisch anspruchsvoller gestalteten Gebrauchsanweisungen. Von Schritt eins bis zu Schritt zwölf wird minutiös erklärt, was man tun muss, um Erfolg zu haben, also um den Gegenstand der Begierde – Kühlschrank, Handy oder Pflanzenbeet – in Schwung zu bringen. Da bleibt wenig Raum für Vielfalt und Irrtum.

Das beste Gartenbuch, das ich seit langem gelesen habe, im Urlaub natürlich, versteckt sich in einer politikwissenschaftlichen respek­tive kulturanthropologischen Hülle und hat den Titel »Applaus dem Anarchismus«. Geschrieben von James C. Scott, im Brotberuf Professor an der Universität Yale, ist es auf Deutsch 2014 in der Edition Trickster im Wuppertaler Peter-Hammer-Verlag erschienen. Das Buch lädt den Leser zu einer anarchistischen Sicht auf die Welt ein. Scott widmet sich weniger der großen Politik, im Mittelpunkt stehen vielmehr die kleinen alltäglichen Geschichten, in denen er in Anlehnung an Antonio Gramsci die großen politischen Linien verborgen sieht. So tauchen mitten in den kulturanthropologischen Abhandlungen plötzlich vier Seiten über das Ordnungssystem von Bauerngärten in Mittelamerika auf. Die entziehen sich der deutschen und europäischen Vorstellung von Ordnung im Garten und auf den Feldern, die doch stark von gerader Linie und rechtem Winkel geprägt sind. Die Pflanzen stehen in Reih und Glied, dem Bauern wie dem Kleingärtner obliegt zur Ernte nur die Abnahme dieser militärisch anmutenden Pflanzenparade. Entsprechend findet ­vorher auch eine Zurichtung des eigenen Denkens statt. Vor allem aber fand zuvor bereits in einem längeren Prozess eine Zurichtung, genauer eine Reduzierung lokaler Vielfalt, statt, was die Ernährung der Menschen in ihrer Gesamtheit nicht sicherer gemacht hat. Für viele ist diese Form wissenschaftlich unterfütterter Ordnung mit geraden Reihen und einer Frucht pro Feld das Idealbild von Landwirtschaft und Gartenbau.

Es kam, wie es kommen musste. Irgendwann fand ein im westlichen Wissenschaftsbetrieb ausgebildeter Botaniker heraus, dass dem unordentlich anmutenden Garten, noch dazu in einer Steillage gelegen, ein durchdachtes Ordnungssystem zugrunde lag. Na also, Ordnung ist immer nur ein bestimmtes System. Das gleiche hatte auch schon der UN-Weltagrarbericht von 2008 herausgefunden. Eine kleinräumige und an Vielfalt orientierte Landwirtschaft kann die Menschheit ernähren – und weniger die Vereinheitlichung von Saatgut, Pflanzen und Feldern. Diese mit wissenschaftlichem Geplänkel daherkommende Normierung mag für einen schmalen Korridor, in dem die Variablen wie Wetter, Sonne, Regen, Boden keine großen Ausschläge nach oben und unten liefern, passen und den besten Ertrag geben. Aber letztlich ernährt Vielfalt die Welt. Zumindest könnte sie das.

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