Datei:2012 Flugschrift (12) Agrotreibstoffe - E10 weder Öko noch fair.pdf

Aus Archiv der Aktion 3.Welt Saar
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Originaldatei(1.240 × 1.606 Pixel, Dateigröße: 517 KB, MIME-Typ: application/pdf, 4 Seiten)

FLUGSCHRIFT 2. überarbeitete Auflage 2012


Agrotreibstoffe –E10 weder öko noch fair

Warum Energie dezentral produziert werden soll.

Das Versprechen ist klar: Nachwachsen -de pflanzliche Rohstoffe sollen das Ener-gieproblem lösen und langfristig Erdöler setzen. Der jahrhundertealte Traum derMenschheit von einem Perpetuum mo-bile ist zum Greifen nah. Soviel Sprit wirauch verbrauchen – er wächst einfachwieder nach; nachhaltig, ökologisch undCO2-neutral. Und das jedes Jahr: AlsRaps, Weizen und Mais in Deutschland,als Palmöl oder Soja in Indonesien oderParaguay und anderen Ländern der 3.Welt. Eine perfekte Kreislaufwirtschaft.Etwas weniger träumerisch agieren die-jenigen, die beste Ackerböden in Afrika,Asien und Lateinamerika zum An bau vonEnergiepflanzen aufkaufen und damitBauern verdrängen. Dass die Nutznießerdes Anbaus ebenfalls in der 1. Welt sit-zen, hat keinen Einfluss auf die saubereÖkobilanz. Denn die Sozialbilanz spieltbei diesem Wettlauf um Ackerlandschlichtweg keine Rolle. Und in Deutsch-land redet man bereits von der „Vermai-sung“ der Landschaft. Der gewaltigeMais-Bedarf der immer größer werden-den Biogasanlagen verspricht den Bau-ern ein gesichertes Einkommen, treibtaber die Pacht- und Kaufpreise fürAckerboden in die Höhe und führt zuMaismonokulturen. Sinnvoll hingegensind hofgebundene Biogasanlagen mitWärmenutzung. Sie erfüllen am ehestendas Ideal der Nachhaltigkeit und derKreislaufwirtschaft. Das Heilsversprechen, mit Agrotreibstof-fen das Energieproblem lösen zu kön-nen, erinnert an das Versprechen derProtagonisten der grünen Revolution in den 70er-Jahren, den Hunger zu besie-gen mit dem großflächigen Anbau vonNahrungspflanzen in der 3. Welt und demintensiven Einsatz chemischer Stickstoff-Düngung. Das Gegenteil trat ein. DerHunger wuchs. Damals wie heute wächstnoch etwas anderes: Der Ressourcen-transfer vom Süden in den Norden, vonArm nach Reich. Genau diese Entwick-lung begleitet auch die Euphorie um dieEnergiepflanzen. Bestes Ackerland wirdfür den Energiehunger der 1. Welt undder Schwellenländer in Beschlag genom-men.Seit die Europäische Union Ende 2008 denBeimischungszwang von Agrotreibstoffen zufossilen Kraftstoffen im Straßenverkehr von2 % auf 5,75 % für das Jahr 2010 mehrals verdoppelt hat und für 2020 10 % Bei-mischung als verbindliches Ziel vorgibt -seit 2011 schon als E10 erhältlich -, istvieles in Bewegung gekommen. Bundesre-gierung und EU subventionieren die Pro-duktion von Agrotreibstoffen über dasEr neuerbare Energien Gesetz (EEG). Finan-ziell bevorzugt werden große Biogasanlagenmit hohem Maisanteil. Während einerseitsEnergiekonzerne wie RWE oder E.ON überzwanzig neue Kohlekraftwerke in Deutsch-land planen und nach dem absehbarenAus ihrer Atomkraftwerke in Wüstenstromund große Biogasanlagen investieren (1),sind weltweit Hedgefonds, Regierungenund die Energiekonzerne dabei, den natio-nalen und internationalen Markt von Acker-flächen für Agrotreibstoffe unter sich auf - zuteilen. Das Copernicus Institut der Uni-versität Utrecht geht davon aus, dass bis2050 etwa 70 % der landwirtschaftlich ge-nutzten Fläche zu Kraftstoffäckern werden.Was sind Agrotreibstoffe?Agrotreibstoffe werden gewonnen aus Zu-ckerrohr, Mais oder Getreide, aus Pflanzen-ölen wie Palmöl, Soja oder Raps sowie ausBiomasse wie Pflanzenfasern oder -abfäl-len. Zur Zeit sind dies vor allem Palmöl ausIndonesien, Malaysia und Südamerika,Mais aus Mexiko und den USA und Zucker-rohr aus Brasilien. Mit Sorghum, einer Hir-seart, auch bekannt als Sudangras, Kassavaaus Nigeria, bekannt auch als Yuca oderManiok sowie Jatropha, einer ölhaltigenPflanze, die vor allem auch in trockenenSavannengebieten in Indien, Indo nesienund China gedeiht, werden aber auch neueMöglichkeiten ausgetestet. Die meistendieser Pflanzen wachsen in sogenannten3. Welt Ländern. Propagiert wird, dass sieauf kargen Böden gedeihen und somitkeine Konkurrenz zur Nahrungsmittelpro-duktion darstellen. Dies stimmt zwar in derTheorie, in der Praxis ist es aber bedeu-tungslos. Denn der Ertrag auf guten Bödenist um ein Vielfaches besser. Tank voll – Teller leerDer Tortilla-Aufstand 2007 in Mexiko hatgezeigt, welche Auswirkungen die steigendeNachfrage nach Energie aus Agrotreibstof-fen haben kann. Aufgrund von Aufkäufendes für Mexiko bestimmten billigen Mais’durch die Agrotreibstoffhersteller in denUSA verteuerte sich das Grundnahrungs-mittel in Mexiko derart, dass es zu massi-ven Protesten in Mexiko-Stadt kam. Undauch indonesische Umweltorganisationenhaben gemeinsam mit der Umweltorgani-sation Robin Wood mit ihrer Aktion „BeiRama ist nicht alles in Butter - SchmierigeProfite mit Palmöl bei Unilever” (nebenRama auch der Hersteller von Langnese,Knorr und Coral) deutlich gemacht, wie diePalmöllieferanten von Unilever in Indone-sien die Landrechte der dort ansässigenBevölkerung bis hin zu Landraub missach-ten und durch Palmölmonokulturen riesigeRegenwaldflächen zerstören. Indonesiengehört mittlerweile weltweit zum drittgröß-ten Produzenten von CO2. Vor allem durchdie bei der Brandrodung von Regenwäldernausbrechenden Schwelbrände der meter -dicken Torfschichten, die sich unter demWald befinden, werden gigantische Men-gen an CO2 ausgestoßen. Mittlerweile be-stätigen nicht veröffentlichte EU-Studienvom Herbst 2010 zur Klimabilanz vonAgrotreibstoffen, dass der CO2 Ausstoß beiBiokraftstoffen höher ist als bei herkömmli-chem Sprit, was von Kritikern der Agro-treibstoffe schon länger geäußert wurde.Die indirekten Folgen wie z.B. Landnut-zungsänderungen wurden nun auch offiziellin die Klimabilanz mit aufgenommen. ZumTragen soll dies aber erst 2018 kommen.Die Interessen der Agrarlobby scheinengrößer zu sein als das Interesse an Nah-rungssicherheit.Wem gehört das Land? Steigende Lebensmittelpreise in 2007 unddaraus resultierende Hungerrevolten, dielukrative Geschäfte versprechenden Beimi-schungsziele für Agrotreibstoffe in den In-dustrieländern und nicht zuletzt die durchdie Finanzkrise verursachte Suche nach sicheren Anlagemöglichkeiten führen zueiner explosionsartigen Nachfrage nachLand. Ob Regierungen oder Investment-fonds, ob die Deutsche Bank oder indischeNahrungsmittelkonzerne, sie alle tun esund sichern sich Landrechte in großemMaßstab, vornehmlich in den bisher wirt-schaftlich wenig interessanten Gegendenin Afrika, die bisher von bäuerlicher Land-wirtschaft geprägt waren und deren Besitz-verhältnisse - wie überwiegend in West-und Zentralafrika - durch traditionelle undnicht durch schriftlich fixierte Landrechtegeregelt sind. 2008 wollte die Regierungvon Madagaskar die Hälfte des Ackerlan-des für 99 Jahre an den koreanischenMischkonzern Daewoo (bekannt ist vorallem die Automarke) zur Herstellung vonAgrotreibstoffen verpachten, scheiterte je-doch am Widerstand der Bevölkerung undwurde gestürzt. Landvertreibung und Land-flucht, Monokultur und gentechnisch ver-änderte Pflanzen, Verschmutzung vonWasser, schlechte Arbeitsbedingungen fürdie oft eingewanderten Arbeiter sind dieFolge solcher Landaufkäufe. Hunger istnach wie vor ein Verteilungsproblem. Durchdie Landkäufe für Agrotreibstoffe verschärftsich dies. Heute leiden eine Milliarde Men-schen an Hunger, das sind 15 % der Welt-bevölkerung (2).Ernährungssicherheit als ZielDabei proklamiert der aktuelle Weltagrarbe-richt (3), dass es ein Leichtes wäre, auchin Zukunft alle Menschen mittels einer bäu-erlichen Landwirtschaft satt zu bekommen -und dies ganz ohne Gentechnik. Allein, esfehlt am gleichberechtigten Zugang allerMenschen zu Ressourcen wie Land, Roh-stoffe oder Wasser. Die Nutzung von Acker-land zur Herstellung von Agrotreibstoffen istnur sinnvoll bei einer Wende in der Agrarpo-litik: Weg von einer industriell dominiertenLandwirtschaft hin zu einer bäuerlichenLandwirtschaft. Statt weiter auf Hocher-träge zu setzen, gilt es, die Ernährungssi-cherheit für alle Menschen als Leitbild zuverankern. Dabei kommt dem Wissen vonBäuerinnen und Bauern beim Anbau vonNahrungsmitteln und bei der Nutzung vonAckerland eine zentrale Bedeutung zu. GreenwashingUnd da hilft auch eine Zertifizierung nicht,wie sie seit Oktober 2009 in der Nachhal-tigkeitsverordnung für Biokraftstoffe in derBRD vorgeschrieben ist. Sie prüft mehroder minder verbindlich die Einhaltung voneinigen wenigen ökologischen Vorgaben.Die sozialen Aspekte wie Landraub, Flucht-ursachen, Verteuerung der Grundnahrungs-mittel sind nicht Gegenstand einer Zerti -fizierung: Als ob in den Anbauregionen nie-mand wohnen würde. Dieses Denken, sichandere Regionen samt Ressourcen undMenschen anzueignen, ist nach wie vor ko-lonialistisch. Wie das Greenwashing bei derPalmölproduktion funktioniert, macht derinternational besetzte runde Tisch RSPO(Roundtable on Sustainable Palm Oil) vor.Hier sitzen 581 Betreiber von Palmölplanta-gen, Banken und palmölverarbeitender In-dustrie an einem Tisch mit 26 Nicht regie-rungsorganisationen, allen voran der WWF(World Wide Fund For Nature) (4). EinzigesZiel ist es, die Produktion von Palmöl öko-logisch reinzuwaschen. Warum machen dieNGOs mit? Liegt es am finanziellen Aus-gleich, an der Erotisierung von Macht, odereinfach nur am naiven Glauben, gleichbe-rechtigt mit dabei zu sein? Eine Zertifizie-rung jedenfalls setzt weder Abholzung,Monokulturen oder Auslaugen der Bödennoch soziale Missstände wie Landrauboder Fluchtursachen außer Kraft.Wüstenstrom für europäi-sche SteckdosenDoch nicht nur in dem Geschäft mit Agro-treibstoffen sind die großen Energiekon-zerne engagiert, auch im einstmals sohoffnungsvoll ökologisch integer und de-zentral betriebenen Solarenergiesektor gibtes eine Verschiebung. Im Sommer 2009haben deutsche Unternehmen wie Sie-mens, E.ON und die Deutsche Bank be-schlossen, rund 400 Milliarden Euro in dasProjekt „Desertec“ zu investieren und inder Sahara solarthermische Kraftwerke zubauen, mit dem Ziel, 15 % des europäi-schen Strombedarfs abzudecken. 2011wurden Verträge für Referenzprojekte mitAlgerien, Tunesien und Marokko unter-zeichnet. Die in der Sahara lebenden Men-schen, meist durchziehende Nomadenohne eigene Landrechte oder die Bewoh-ner des von Marokko besetzten Westsa-hara-Gebietes, spielen bei der Ent schei- dung über Bau und Nutzen der Solarkraft-werke keine Rolle. Während Greenpeaceund Teile der Grünen das Projekt befürwor-ten, kam Kritik vor allem von 3. Welt Orga-nisationen wie dem kirchlichen HilfswerkMisereor und von dem im Oktober 2010verstorbenen Hermann Scheer, Präsidentvon EURO-SOLAR, Vorsitzender des Weltra-tes für Erneuerbare Energie und SPD-Mit-glied (5). Er bezeichnete das Projekt alsFata Morgana, bei dem Kosten künstlichheruntergerechnet werden und das alleinzur Aufrechterhaltung des Erzeugermono-pols von Energie der großen Energiekon-zerne in der 1. Welt dient. Nötig ist jedocheine dezentrale Ener gieversorgung. In demSinne ist „Desertec” auch innenpolitisch derLackmustest, ob man eine großindustrielleoder dezentrale Energieversorgung will.Dezentrale LösungAlles in allem geht es darum: 1. Energie dort zu produzieren, wo sie be-nötigt und verbraucht wird. Nachhaltigkeitgibt es nur dezentral. Der lokale Anbau vonEnergiepflanzen ist im Rahmen einer regio-nalen Kreislaufwirtschaft sinnvoll. Dazu be-darf es keiner industriellen, sondern einerbäuerlichen Landwirtschaft, wie sie auchder Welt agrarbericht fordert. Viele kleinedezentrale Biogasanlagen in Bauernhandzur Verwertung von Pflanzenabfällen ma-chen Sinn. 2. Exportorientierte Großprojekte wie „Desertec“ und den Palmölanbau in Indo-nesien aufzugeben. Sie nehmen Land inBeschlag und koppeln Millionen Menschenvon ihren Entwicklungschancen ab. Sie ste-hen für ein energiepolitisches „Weiter so”mit der Fixierung auf technologische Groß-projekte, wenn auch via Greenwashing öko-logisch geliftet. (1) Der Atomkonzern E.ON betreibt immer mehr Bio-gasanlagen - z.B. im nördlichen Saarland (Merzig-Fitten) (2), (3) www.weltagrarbericht.de(4) Der WWF steht seit längerem in der Kritik, indus-triefreundlich zu sein, grüne Gentechnik zu befürwortenund zweifelhafte Nachhaltigkeitszertifikate beim Palmölund Sojaanbau an Chemie- und Agrarindustrie zu ver-teilen. Siehe u.a. „Der Pakt mit dem Panda”, WDR, 2011(5) siehe Schwerpunkt zu „Desertec“ in der Zeitschrift„initiativ“, Nov. 2009: ökumenische initiative eine welt

„ERNA goes fair“ ist eine überregio-nale Kampagne der Aktion 3.Welt Saarfür eine faire Landwirtschaft weltweit.Sie vernetzt Bauern, Gewerkschafter,Naturschützer und 3. Welt Engagierte.Kooperationspartner der Kampagnesind: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Land-wirtschaft (AbL), LV RLP-Saar,Bundesverband Deutscher Milchvieh-halter, LV Rheinland-Pfalz / Saarland,Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)Saar, Bezirk West, Naturschutzbund (NABU) SaarDie Zusammenarbeit mit Gewerkschaf-ten ist dabei zentral im Sinne einesfruchtbaren Erfahrungsaustausches insozialen Auseinandersetzungen. So istz.B. die angestrebte Milch bündelung durch Bauern strukturell identisch mitder Bündelung von Arbeitskraft durchGewerkschaften und wird ent sprechendbekämpft. Nicht der einzelne Bauerverhandelt alleine, nicht der einzelneArbeitnehmer verhandelt alleine. Zusammen wird man für die Gegenseite eine politische und wirtschaftliche Plage.

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