Datei:2011-01-18 Merzig Neujahrempfang, Rede Marcus Hammerschmitt.pdf

Aus Archiv der Aktion 3.Welt Saar
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Vortrag von Marcus Hammerschmitt zum Neujahrsempfang der Aktion 3. Welt Saar am 18.1.2011 in Merzig

"Solidarität ist eine Waffe". Da steht er, der Satz, ein wenig verloren, altmodisch und in seinem radikalen Schwung pittoresk. Niemand mag mit ihm solidarisch sein. Man kann die Einsamkeit dieses Satzes daran ermessen, dass ich heute Abend hier eingeladen bin, um vor Publikum erörtern, was es mit dieser komischen Sache "Solidarität" auf sich haben könnte. Machen wir eine Zeitreise. Stellen Sie sich dieses Vortragsthema 1980 vor. Oder 1970. Eine seltsame Vorstellung, nicht wahr? In der Bundesrepublik des Jahres 2011 kann ich über so ein Thema zu Ihnen sprechen, wie ein Biologe über bestimmte, seltene Fledermausarten mit putzigenVerhaltensweisen. Seltene Fledermausarten, die vom Aussterben bedroht sind. Man hört ab und zu, die Gesellschaft habe sich "entsolidarisiert". Oft klingt das dann wie die Klage darüber, dass die jungen Leute heute einfach keine Manieren mehr haben, oder dass das doch schlimm sei mit dem Lärm überall. Solidarität als eine Sache aus der guten alten Zeit, die leider keine Anhänger mehr habe. Adorno schrieb in den 1940ern,die Solidarität, die er für die "ehrwürdigste Verhaltensweise des Sozialismus" hielt, sei erkrankt."Solidarisch waren Gruppen von Menschen, die gemeinsam ihr Leben einsetzten, und denen das eigene, im Angesicht der greifbaren Möglichkeit, nicht das wichtigste war, so daß sie, ohne die abstrakte Besessenheit von der Idee, aber auch ohne individuelle Hoffnung, doch bereit waren, füreinander sich aufzuopfern. Solches Aufgeben der Selbsterhaltung hatte zur Voraussetzung Erkenntnis und Freiheit des Entschlusses: fehlen diese, so stellt das blinde Partikularinteresse sogleich wieder sich her. Mittlerweile aber ist Solidarität übergegangen ins Vertrauen darauf, daß die Partei tausend Augen hat, in die Anlehnung an die längst zu Uniformträgern avancierten Arbeiterbataillone als die eigentlich stärkeren, ins Mitschwimmen mitdem Strom der Weltgeschichte.""Staatlich gelenkte und verordnete Solidarität verletzt das moralische Substrat des Solidarischen"Auch diese wuchtige Kritik des Stalinismus ist heute kaum noch verständlich, muss den meisten wie Chinesisch in den Ohren klingen. Die DDR, was war das noch mal? Gültig bleibt, dass staatlich gelenkte und verordnete Solidarität das moralische Substrat des Solidarischen selbst verletzt, weil den Menschen "Erkenntnis" und "Freiheit des Entschlusses" fehlen. Wie sehr dieser Form der Solidarität die Erkenntnis fehlte, kann man an der trüben Geschichte des Antizionismus ersehen, der nach dem Sechstagekrieg wie eineSeuche durch den Ostblock zog, und bis heute der radikalen Linken (und nicht nur ihr) anhaftet; die unbefragte Solidarität mit dem Opfermythos von den unschuldigen Palästinensern schlägt noch heute so leicht in den Antisemitismus um, den Sozialismus der dummen Kerls, wie Bebel ihn angeblich nannte. Solidarität kann in die Irre gehen, und sie kann auch erkranken. Allgemein an der menschlichen Dummheit und ihrem Bedürfnis nach Barbarei und Projektion, und am Staat, der sie vereinnahmt für seine Zwecke, der in der Inszenierung der Solidarität ihre Beerdigung kaschiert. Dafür braucht man nicht einmal Sozialismus. Vor einigen Jahren schrieb ich:"Es ist Kostenminimierung angesagt in der Deutschland AG. Bildung und Gesundheit für alle und der ganze Sozialklimbim sowieso haben die Wertschöpfungskette in dieser AG lange genug belastet. Dass sich unbezahlte Mehrarbeit wenigstens scheinbar dazu verwenden lässt, die Lücken zu stopfen, die in voller Absicht in das soziale Netz gerissen wurden, ist das ganze Geheimnis hinter der neuerlichen öffentlichen Aufwertung des Bürgerengagements - ein Sozialsystem powered by Oma und Ehrenamt ist schon einmal ein paar Bundesverdienstkreuze und vergoldete Anstecknadeln wert. Die Masche funktioniert bis hinunter in diekleinsten Abteilungen der Deutschland-AG, die Kommunen. Durch eine antisoziale Steuerpolitik bis zum Kollaps ausgeblutet, verfallen sie auf die Idee, kommunale soziale Dienste durch die Inanspruchnahme ehrenamtlicher Unterstützung vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Kitas, Jugendhäuser, und andere Institutionen rechnen plötzlich mit dem Ehrenamt als Produktivitäts- und Kostenminderungsfaktor. Dass dadurch nebenbei zunehmend qualifizierte Arbeitsplätze unter Existenzdruck geraten, wird von den Strategen in den Rathäusern billigend in Kauf genommen. Wirklich arbeitsfähig ist dieser Pfusch natürlich nicht, aber man kann eine Weile so tun, und das ist alles, worauf es ankommt.Gebetsmühlenartig werden im Fernsehen dazu Phrasen von "Gemeinsinn" und "Eigenverantwortung" wiederholt, vorzugsweise von Leuten, denen beides abgeht. Die Umwertung aller Werte ist unter den neoliberalen Krypto-Nietzscheanern und den modernen Politpfaffen dabei in vollem Gang: "Solidarität" meint die absurde Solidarität der Schwächeren mit den Stärkeren, nicht die der Schwächeren untereinander,"Gemeinsinn" dient den Partikularinteressen weniger, "Eigenverantwortung" heißt, sich abstrampeln zu können wie man will, und doch immer das Nachsehen zu haben. Die "Ehre" beim Ehrenamt ist der warme Händedruck für die unbezahlte Selbstausbeutung, die alles am Laufen hält, solange es eben geht. Öffentlichdas Wasser des Altruismus predigen und heimlich den Wein der Privilegien trinken - seit den Zeiten Heinrich Heines hat sich weniger geändert als man meinen sollte."Und in den fünf Jahren, seitdem ich das schrieb, hat sich gar nichts geändert. Alles ist missbrauchbar, auch die Idee des Solidarischen."Solidarisch oder solid-arisch?"Und es gibt ja auch noch diese spezifisch deutsche Art des Missbrauchs, die "solidarisch" als "solid arisch" übersetzt, die Gemeinschaft nur als Volksgemeinschaft denken kann, und deren Ehre Treue heißt. Doch, es gibt sie immer noch, diese Haltung, die die europäische Aufklärung gern vergessen machen würde. Die sich auflehnt gegen die Zumutung, ein Individuum zu sein. Die Freiheit nicht aushält, sondern sich von ihr angeekelt in den Dunstkreis von Kollektiven zurückzieht, deren zwanghafte Natur nicht einmal benannt werden darf. Und diese deutsche Krankheit, sie wird nicht nur virulent im Gebrüll der Neonazis und in ihren Schandtaten, sie kommt auch in dem urdeutschen Hass eines Sarrazin auf die Anderen zum Ausdruck, sie triumphierte in den "Heim-ins-Reich"-Parolen bei zwei Saarabstimmungen genauso wie in dem Glauben, dass am deutschen Wesen auch Afghanistan genesen kann. Nicht die Solidarität, die ich meine."Die Solidarität der Gegenwart wird sich der Vorsicht befleißigen müssen."Sie merken, ich habe mich nach dem Ausschlussverfahren meinem Thema genähert. Was wäre denn nun die richtige Solidarität? Dafür gibt es leider keine allgemein gültige Richtschnur. Die Solidarität der Gegenwart wird sich der Vorsicht befleißigen müssen; die Solidarischen werden ihre Ziele und ihre Bündnispartner stets überprüfen müssen, um am Ende nicht in die Röhre zu schauen; in einen Spiegel, der "Dumm!" zurückruft auf die Frage: "Wie war ich?" Man will ja nicht enden wie die Solidarnosc. Oder wie deutsche Antiimperialisten. Wie die armen Lichter, die an dem Lumpenkreuzzug namens "Gaza-Freiheitsflotte" teilgenommen haben, oderdie Tibettröpfe, die sich vor den uralten, knarrenden und mit allerlei Unrat beladenen Karren des Dalai Lamaspannen lassen. Man würde gern etwas tun, das Sinn hat. Wann war ich zum letzten Mal solidarisch? Letzte Woche, glaube ich. Es gibt zwei hervorragende Dokumentarfilmer in diesem Land, Herdolor Lorenz und LeslieFranke, die machen zwar gute Filme, sind aber nicht berühmt. Sie befassen sich mit der Bahnprivatisierung oder den sogenannten "Public Private Partnerships" bei der Verhökerung der öffentlichen Wasserversorgung anprivate Konzerne. Und einer der Filme, die die beiden zu dem Wasserthema gemacht haben, ist jetzt unter Beschuss, und zwar durch einen der Konzerne, den sie in dieser Dokumentation kritisiert haben. Veolia, so heißt der Konzern, will die beiden offenbar in den Ruin und den Film von der Bildfläche klagen. Ich schrieb einen kleinen Artikel für ein Internetmagazin, der vielleicht von zwei- oder dreitausend Leuten gelesen wird, und möglicherweise macht es einen winzigen, winzigen Unterschied. Ein kleines Beispiel nur."...die Solidarität zu einer Waffe für die Aufklärung zu machen..."Man kann aber auch die Aktion 3. Welt Saar unterstützen, und ihre hervorragende Entwicklungsarbeit für das politisch unzureichend entwickelte Deutschland. Die Leute, die Sie heute Abend hier eingeladen haben, sind der seltsamen, selten zu findenden Auffassung, dass Europa ein unterentwickeltes Afrika ganz gern hat, weil es im Vergleich so schön entwickelt wirkt. Was in Zweifel steht, wenn man sich die skandalöse Art anschaut, in der Ärzte in Deutschland Immigranten flugtauglich schreiben für die Deportation in ihre Herkunftsländer, auch wenn andere Ärzte bereits zur gegenteiligen Ansicht gekommen sind. Die Aktion 3. Welt Saar hält es mitder Aufklärung, zum Beispiel über einen Kerl wie Paul von Lettow-Vorbeck. Oder über den Kulturrelativismus,der nicht wahr haben will, dass Minderheiten geschützt werden müssen, aber nicht unbedingt ihre Ideologie. Kann man sagen, dass ich mit der Aktion 3. Welt Saar solidarisch bin? Ich finde das gut, was die machen. Und über dieses Gutfinden hinaus wäre ich dafür, die Solidarität zu einer Waffe für die Art Aufklärung zu machen, die von der Aktion 3. Welt Saar betrieben wird. Sie hat gute Waffen nötig.© Marcus Hammerschmitt, Januar 2011

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