Datei:1995-01 Flugschrift 1 Gegenmacht von unten beschäftigt Bundesgerichtshof.pdf: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 3. Oktober 2019, 17:08 Uhr

FLUGSCHRIFT 1 Januar'95

Im nachfolgenden Beitrag dokumentieren wir einen Artikel des Trierer Stadtma~azins KATZ vo~ Dez'94 über ~en Haftbefehl gegen eine Frau aus Saarbrücken. In dem Haftbefehl werden auch die Then:ien Rassismus und Kurdistan angesprochen. Der Artikel wurde von einem Mitarbeiter der AKTION 3.WELT geschrieben.

"Gegenmacht von unten" beschäftigt Bundesgerichtshof

Saarbrücken. Eine Verhaf-tung, ein Verfahren nach 129a StgB wegen Unterstützung einer terroristischen Vereini-gung, fünf Hausdurchsuchun-gen und ein dreizehnseitiger Haftbefehl, der die politische Gesinnung einer Frau behan-delt, mit dieser Aufzählung könnte man die Ereignisse Anfang November in Saar-brücken skizzieren. Am 8. November wurde Ursel Quack in Saarbrücken verhaf-tet. In dem Haftbefehl des Bun-desgerichtshof es Karlsruhe (BGH) wird ihr Kontakt zur nicht näher bezeichneten Kom-mandoebene der "Roten Armee Fraktion" (RAF) vorge-worfen. Im besonderen soll sie für die Umsetzung des nach BGH-Angaben von der RAF entwickelten Konzeptes einer "Gegenmacht von unten" im Raum Saarbrücken zuständig gewesen sein. . In einer Begründung des Haft-befehls beschreibt der BGH diese "Umsetzung der Gegen-macht von unten" u.a. mit dem Engagement von Ursel Quack bei der "Aktion Gelber Punkt" beim Antirassistischen, Antifa-schistischen Notruftelefon, der Herausgabe der Saarbrücker Stadtteilzeitung "Stoffwech-sel", der Mitarbeit bei verschie-denen Bürgerinitiativen, der Friedensbewegung und der Kurdistan-Solidaritätsarbeit, so z.B. die Teilnahme an einer Menschenrechtsdelegation nach Kurdistan im Sept. '93. Der Haftbefehl -übrigens von dem gleichen Richter ausgestellt, der auch für die PKK Verfahren zustän-dig ist - listet minutiös das Engage-ment von Ursel Quack in den ver-gangenen Jahren auf. Offiziell ange-gebener Ausgangspunkt für die Er-mittlun2en soll ein Brief gewesen --sein, der im Rucksack von Birgit Ho-gefeld nach den Vorfällen in Bad Kleinen gefunden worden ist Das BGH ordnet den Brief ,der keine Ab-senderangabe enthielt, Ursel Quack zu. Die im Haft,efehl angegebenen Momente der politischen Arbeit von Ursel Quack begannen jedoch zu großen Teilen schon vordem Auffin-den des Briefes. Im Klartext: Sie ist , jahrelang observiert worden. Jetzt wird ihre politische Tätigkeit als Auftragsarbeit der RAF hingestellt Wie ein roter Faden zieht sich die BGH-Konstruktion des "Aufbaus einer Gegenmacht von unten" durch den Haftbefehl. Die Beschreibung dieser Konstruktion im Haftbefehl liest sich wie ein Auszug aus einer soziologischen Seminararbeit an einer Universität Ein wesentliches Merkmal der "Gegenmacht von unten" sei, so der Haftbefehl, das Eingehen und die Beschäftigung mit den lokalen Problemen der Bevölke-rung. Abstrakte ideologische Dis-kussionen stünden nicht mehr im Mittelpunkt Auf diese Weise möchte die RAF ihre personelle wie thematische Basis verbreitern. Im Besonderen sollen im Rahmen solcher Diskussionen Personen auf ihre Zuverlässigkeit für eine Zusam-menarbeit mit der RAF überprüft und gewonnen werden. Und exakt vor diesem Hintergrund soll sich Ursel Quak sozusagen als RAF- Beauftragte für die Region Saarbrücken in unterschiedlichsten linken Projekten engagiert haben. Bei der PKK nennt der BGH solche Leute "Gebietsleiter". Beispiel 1: Was ist ein Stoff-wechsel? Ins Komische droht der Haftbefehl abzugleiten bei der Beschreibung der Stadtteilzeitung "Stoffwechsel". Der Name "Stoffwechsel" sei nämlich mehr als ein reiner 2.ei-tungsname, sondern beschreibe auch einebestimmteArtderKominunika-tion und des Gedankenaustausches zwischen verschiedenen linken Gruppen und der RAF. Die 2.eitung, f!3eispiel 2: Aktion Gelber so faßt der BGH deren Selbstver-Punkt ständnis zusammen, verstehe sich als Sprachrohr für Menschen, die mangels fehlendem Geld und Machtposition die Entscheidungen nicht beeinflussen können, die ihr eigenes Leben betreffen. Was sich auch bei mehrmaligem Lesen wie ein Witzanhört,gerätim Kontext des Haftbefehls zur zynischen Vorverur-teilung. Auch die anderen "konkre-ten" Vorwürfe lesen sich eher wie ein who is who von linken Zusammen-hängen. Daß sie in der Aktion "Gelber Punkt" mitgearbeit hat, ist allgemein bekannt Schließlich hat sie auch öf-fentliche Veranstaltungen zur Vor-stellung dieser Kampagne durchge-führt Zur Erläuterung: An der AKTION GELBER PUNKT betei-ligen sich zahlreiche Geschäfte, Kneipen und.öffentliche Einrichtun-gen. Dabei wurde gut sichtbar ein großergelbei: Aufklebermitder Auf-schrift "Wir schützen Ausländerin-nen vor rassistischen Übergriffen" ins Schaufenster gehangen. Mehr-sprachige Augblätter machten auf diese Kampagne aufmerksam. Beispiel 3: Kurdistan DaB sie sich für das Selbsbestim-muni::srecht von Kurdinnen einsetz-te. ist ebenfalls öffentlich bekannL Neben der Organisation einer De-monstration in Saarbrucken gegen das PKK-Verbot hat sie an einer Menschenrechtsdelagation in den kurdischen Teil der Türkei teilge-nommen und einen Prozeß gegen die türkisch-kurdische Tageszeitung "ÖZgür Gündem" (heute "Özgür Ülke) vor dem Staatssicherheitsge-richt Istanbul besucht Alles dies -Mitarbeit an der Zeitung STOFF\VECHSEL der AKTION GRID.'ER PUNKT, KURDISTAN-Delegation -ist allgemein bekannL Schließlich ist sie in diesem Zusam-menhang mehrfach öffentlich aufge-treten. Eine neue Dimension erhält diese politische Arbeit durch die neue juristische Konstruktion des BGH, wonach es nichts anderes gewesen sei, als die Umsetzung des angeblichen RAF-Konzeptes für den Aufoau einer "Gegenmacht von unten ... Auffälknd ist jedenfalls, daß Ursel Qu:d: keine konkrete Straftat vor-geworfen wird, sondern einzig und all<".in ihre politische Gesinnung. Lnd d:i.fiirdroht ihr die Veruneilung. Erste Reaktionen In ersten Reaktionen veruneilten z3.hl:eiche Organisationen - Notruf-telefon. Autonome Antifa, SDAJ, DKP. Kurdischer Kulturverein, basis - die Verhaftung und fordenen die Eir.stellung des Errnittlungsver-f&7.rens. We:tige Tage nach der Verhaftung fand vor der JVA im rheinland-pfäl-z:,:h<".:1 Zweibrücken eine Knast-k~ndgebung mit über 100 Teilneh-m-:r!nnen statt. Einige der Beiträge "'-urden von lJrsel Quack offensicht-li::: gehörc. was sie mit Zurufen be-stätgte. Ein Aufruf "Auch wir sind die Gegenmacht von unten", der von tt-,e, :oo Menschen aus dem Saar-1:md: Stand: 1.11.1994) umerschrie-t,en worden ist, sollte als bezahlte Anzeige in der "Saarbrücker Zeirung'" abgedruckt werden, was ,iie~ ohne Begrundung ablehnte. Wenige Tage zuvor hatte die gleiche Zeitung noch eine Todesanzeige für den am 26.10.1944 (!) in einem so-wjetischen Kriegsgefangenen-Lager gestorbenen Obergefreiten Otto Schmidt abgedruckt. Don heißt es: "Er gab sein Leben für seine Heimat und für sein deutsches Vater-land; nicht für eine multikulturell.e Gesellschaft". Wie weiter? 1. Der Begriff "Gegenmacht von unten" wird vorn BGH zum ersten-mal verwendet. Er könnte zu einer juristischen Konstruktion werden, mit der jeder politisch aktiv Mensch auf die Anklagebank gesetzt werden kann, Er muß nur irgendwie in Zu-sammenhang mit der RAF gebracht werden. Die Betonung liegt auf "ir-gendwie". Daß gerade Ursel Quack herausgegriffen wurde, läßt sich eventuell auch darauf zurückführen, daß sich ihre Arbeit weniger durch hektischen Betroffenheitsaktivis-rn us als vielmehr durch Kontinuität auszeichnete. 2. Der Haftbefehl enthält viele An-deutungen, die eine Ausdehnung der staatlichen Repression in der Region Saarbrücken n4he legen. Ob dies passien, ist nicht nur von politischen Vorgaben staatlicher Stellen, sondern auch vorn Widerstand gegen diesen pauschalen Krirninalisie-rungsversuch abhängig. 3. Der Haftbefehl erwähnt an einer einzigen Stelle Aussagen des Verfas-sungsschutz-Spitzel Klaus Stein-metz. Auch hier könnte· ein Einfalls-tor für weitere weitere Verfahren be-stehen. Urscl Quack hatte bereits im Sornrncrvergeblich von der Bundes-anwaltschaft verlangt ob gegen sie aufgrund von Steinmetz-Aussagen ein Ennittlungsverfahren läuft. Steinmetz hatte sich zehn Jahre un-entdeckt in linken Zusamrnenhän-gen bewegt. "Für uns ist nicht die Frage, ob der Brief an Birgit bzw. die RAF von Ursel oder einer anderen Person ge-schrieben wurde. Noch weniger hat der Staatsschutz zu bestimmen wer mit wem diskutien", heißt es in einer Erklärung der Gruppe BASIS aus Saarbrücken. 4. Bisher haben sich überraschend viele Menschen aus unterschiedli-chen Organisationen und Zusam-menhängen öffentlich gegen die Verhaftung und das Ermittlungsver-fahren ausgesprochen. Bleibt abzu-warten, ob diese Solidarität· über die unmittelbare Betroffenheit hinaus Bestand hat.

ür weitere Informationen und Kontakt gilt folgende Kontaktadresse: basis (Büro und Anlaufstelle für Selbstor-ganisierung und soziale Emanzipation), Alte Feuerwache, Landwehrplatz 2, 66111 Saarbrücken, Tel.: 0681/399990 FAX 34145. Anfragen nach Informations-material bitte 5,-DM für Porto und Kopier-kosten beilegen. Aber Achtung: hier hat Ursel Ouack vor ihrer Verhaftung auch aktiv mitgearbeitet. Letzte Meldung: Ursel Quack ist wieder frei. Am Montag, dem 21.l l. 1994, wurde der Haftbefehl vorläufig außer Vollzug gesetzt. Die Überprüfung der bei der Hausdurch-suchung beschlagnahmten Unterla-gen hätten zwar laut BGH den Ver-d_ac_ht der Unterstützung einer terro-n~usche_n Vereinigung bestätigt. Es hatten sich jedoch keine Hinweise darauf ergeben, daß Ursel Quack nach der Verhaftung von Birgit Ho-gefeld Kontakte zu Mitgliedern der Kommandoebene gehabt hätte. Das heißt: Die im Haftbefehl präsentier-te Konstruktion des Aufbaus einer "Gegenmacht von unten" im RAF-Auftrag gilt weiter und ist zentraler Bestandteil des Ermittlungsverfah-rens. (Stand 22.11.1994) Roland Röder

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